Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksame Zustellung an Verteidiger trotz in den Akten fehlender Vollmacht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ergibt sich aus den Akten, dass dem Verteidiger durch Rechtsgeschäft eine Vollmacht zur Vertretung des Betroffenen erteilt worden ist, kann an ihn wirksam zugestellt werden, selbst wenn sich eine auf ihn lautende schriftliche Verteidigervollmacht nicht bei den Akten befindet.

2. Hat der Verteidiger eine auf einen anderen Rechtsanwalt lautende Vollmacht zu den Akten gereicht, ohne dass dieser im weiteren Verfahren in Erscheinung tritt, kann nicht eingewandt werden, dass die Zustellung (hier: des Bußgeldbescheids) an diesen anderen Rechtsanwalt hätte bewirkt werden müssen.

 

Normenkette

StPO § 145a; OWiG § 51 Abs. 3

 

Tenor

1. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

2. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Durch das angefochtene Urteil vom 17.01.2013 ist der Betroffene wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit (ungenügender Sicherheitsabstand; weniger als 3/10 des halben Tachowerts) mit einer Geldbuße von 220,00 Euro und mit einem Fahrverbot von 1 Monat belegt worden. Das Amtsgericht hat dazu festgestellt, dass der Betroffene am 13.04.2012 um 14:44 Uhr mit einem PKW die Bundesautobahn 2 in Fahrtrichtung Hannover befahren und dabei nicht ausreichend auf die Einhaltung des Sicherheitsabstands geachtet hat. In Höhe km 150,4 sei er so dicht hinter einem anderen Fahrzeug gefahren, dass - bei einer Geschwindigkeit von 121 km/h - der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug nur 17 Meter betragen habe.

Mit Schreiben vom 23.07.2012 (Bl. 30/33 d. A.) hatte sich Rechtsanwältin F. beim Landkreis Helmstedt erstmals als Verteidigerin des Betroffenen gemeldet und bat um Übersendung der Akten an sie. Dem Schreiben hatte sie allerdings eine Vollmachtsurkunde beigefügt, die auf Rechtsanwältin U. H. ausgestellt war. Diese Rechtsanwältin wird auf dem Briefkopf des genannten Schreibens, dessen Briefkopf ansonsten den Namen "F." als Namen der Kanzlei angibt und hervorhebt, als "angestellte Rechtsanwältin" bezeichnet.

Nachdem Rechtsanwältin F. die Akten eingesehen und wieder zurückgesandt hatte, erließ der Landkreis Helmstedt unter dem 04.09.2012 einen Bußgeldbescheid, der der genannten Verteidigerin am 07.08.2012 zugestellt wurde. Noch am selben Tage legte die Verteidigerin "namens und mit Vollmacht des Betroffenen" Einspruch ein, worauf das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 21.11.2013 anberaumte, deren Verlegung die Verteidigerin mit Schreiben vom 07.11.2012 beantragte. Nach Neuterminierung und einem weiteren Verlegungsantrag der Verteidigerin wurde schließlich Termin auf den 17.01.2013 bestimmt.

Mit Schreiben vom 13.01.2013 stellte die Verteidigerin im Vorfeld der Verhandlung den Antrag, das Verfahren wegen zwischenzeitlich eingetretener Verfolgungsverjährung einzustellen. Der Bußgeldbescheid habe, da er nur ihr und deshalb wegen § 51 Abs. 3 OWiG nicht wirksam zugestellt worden sei, die Verjährung nicht unterbrochen. Auch die ansonsten weiter in Betracht zu ziehende Unterbrechungshandlung - Übersendung der Akten an das Amtsgericht (§§ 33 Abs. 1 Nr. 10, 69 Abs. 3 OWiG) - sei zu spät erfolgt.

Das Amtsgericht folgte dem Antrag nicht und führte die Hauptverhandlung, an der für den Betroffenen Rechtsanwältin F. teilnahm, durch.

Die Nichteinstellung des Verfahrens hat das Amtsgericht damit begründet, dass das Verhalten der Verteidigerin als sog "Verjährungsfalle" rechtsmissbräuchlich sei. Zum Beleg hat das Amtsgericht auf einen weiteren Vorgang hingewiesen, in dem die Verteidigerin ebenfalls allein in Erscheinung getreten sei, wiederum zunächst eine auf einen anderen Verteidiger ausgestellte Vollmacht zu den Akten gereicht und sich wegen angeblich unwirksamer Zustellung des Bußgeldbescheids dann später auf Verjährung berufen habe.

Eine auf Rechtsanwältin F. ausgestellte Vollmacht befindet sich bis heute nicht bei den Akten. Auf den Vorwurf, sich einer "Verjährungsfalle" bedient zu haben, hat sie in der Verhandlung vor dem Amtsgericht jedoch vorgetragen, dass sie vom Betroffenen "per Telefax und Telefon" als Verteidigerin beauftragt worden sei. Durch ein "Versehen der Mitarbeiter" sei dem Betroffenen anschließend dann aber der Vordruck einer auf Frau Rechtsanwältin H. lautenden Vollmacht übersandt worden, was ihr erst bei der Vorbereitung auf den Verhandlungstermin aufgefallen sei.

Die zu den Akten gelangte, auf Rechtsanwältin H. lautende Vollmacht enthält ausdrücklich die Befugnis, für den Betroffenen "Zustellungen aller Art" entgegennehmen zu dürfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Verfahren einzustellen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerdesache war gem. § 80a Abs. 1, 3 OWiG zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil in Fortentwicklung der früheren Senatsrechtsprechung (Beschluss vom 26.02.2009 - Ss (OWi) 16/09; juris) die grundsätzlich bedeutsame ...

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