Entscheidungsstichwort (Thema)

Amtshaftung: Schadensersatz wegen Ausstellung einer unzutreffenden ärztlichen Bescheinigung durch einen Polizeiarzt

 

Leitsatz (amtlich)

1.Die Heilfürsorge für Polizeibeamte der Bundespolizei ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet mit der Folge, dass die Wahrnehmung der ärztlichen Aufgaben der hoheitlichen Tätigkeit zuzurechnen ist.

2. Wenn die Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung auf Erkenntnissen beruht, die bei der Untersuchung des Beamten als Teil der öffentlich ausgestalteten Heilfürsorge gewonnen worden sind, steht sie mit dieser in derart engem Zusammenhang, dass auch sie als Teil der hoheitlichen Tätigkeit anzusehen ist.

3. Soweit ein Polizeiarzt einem Polizeibeamten auf dessen Antrag bzw. in dessen Interesse eine Auskunft über seinen Gesundheitszustand erteilt, hat diese sachlich zutreffend und vollständig zu erfolgen. Die an eine Auskunft der öffentlichen Hand zu stellenden Anforderungen (Wahrheit, Klarheit, Unmissverständlichkeit und Vollständigkeit) bestehen unabhängig davon, ob der Beamte zur Erteilung der Auskunft verpflichtet oder auch nur befugt ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 21.04.2005 - III ZR 264/04 -).

 

Normenkette

BBesG a.F. § 70 Abs. 2; BGB §§ 254, 276, 839; GG Art. 34; ZPO §§ 68, 74, 524 Abs. 4, § 529 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

OLG Braunschweig (Beschluss vom 18.12.2019; Aktenzeichen 11 U 85/18)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 22.05.2018 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss als unbegründet zurückzuweisen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Amtshaftung auf Schadensersatz wegen der Ausstellung einer unzutreffenden ärztlichen Bescheinigung durch einen Polizeiarzt in Anspruch.

Der Kläger ist bei der Bundespolizei - Abteilung D. - tätig und hat dort den Posten eines Polizeihauptmeisters inne. Auf seiner Dienststelle ist Herr Ministerialdirektor Dr. med. W. als Polizeiarzt tätig.

Der Kläger erlitt am 03.10.2011 infolge eines Motorradunfalls Knochenbrüche an beiden Unterarmen.

Der Kläger meldete dies seiner privaten Unfallversicherung. Diese stellte ihm zur Anmeldung von Dauerschäden ein Blankoformular mit der Überschrift "Ärztliche Bescheinigung zur Begründung eines Invaliditätsanspruchs" zur Verfügung.

Der Kläger überreichte dieses Formular Herrn Dr. W. mit der Bitte, die Feststellung der unfallbedingt erlittenen Dauerschäden zu bescheinigen. Herr Dr. W. füllte dieses Formular unter dem Datum des 19.12.2012 aus (vgl. Anlage K9). Eintragungen betreffend den rechten Arm nahm er dabei nicht vor.

Der Kläger reichte dieses Formular fristgemäß bei seiner Unfallversicherung ein. Diese erbrachte in der Folgezeit nur Versicherungsleistungen bezüglich eines Dauerschadens im linken Arm, weil ein weiterer Dauerschaden im rechten Arm nicht fristgerecht ärztlich bestätigt worden war. Eine klageweise Durchsetzung entsprechender weitergehender Ansprüche gegen den Unfallversicherer blieb erfolglos.

Der Kläger nimmt die Beklagte nunmehr auf Ersatz der ihm bei einer fristgerechten Anmeldung des entsprechenden Dauerschadens im rechten Arm zustehenden Versicherungsleistungen in Höhe von 33.620,- EUR in Anspruch.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

den Beklagten zur Zahlung an ihn in Höhe von 33.620,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2016 zu verurteilen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht Göttingen hat durch Urteil vom 22.05.2018 (Bl. 114 ff. d. A.), den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt am 24.05.2018 (Bl. 122 d. A.), die Beklagte verurteilt, an den Kläger 26.896,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.06.2016 zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.

Zur Begründung hat das Landgericht unter anderem Folgendes ausgeführt:

Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe zu.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Amtshaftungsanspruch wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung des Polizeiarztes Dr. W. zustehe, der lediglich wegen eines Mitverschuldens des Klägers bei der Schadensverursachung zu kürzen sei.

Bei der Beurteilung der für diesen Rechtsstreit erheblichen medizinischen Feststellungen und Zusammenhänge folge die Kammer den Ausführungen der gerichtlich bestellten chirurgischen Sachverständigen Dr. B., deren fachliche Qualifikation als Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie mit der Zusatzbezeichnung Handchirurgie und Funktionsoberärztin der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum M. außer Zweifel stehe. Die Sachverständige habe unter Auswertung der beigezogenen Behandlungsunterlagen ein in jeder Hinsicht i...

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