Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbständiges Beweisverfahren: Voraussetzung für einen Einwendungsausschluss gegen ein Sachverständigengutachten nach Ablauf einer hierfür gesetzten richterlichen Stellungsnahmefrist
Leitsatz (amtlich)
Die Partei ist mit Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten im selbständigen Beweisverfahren nach Ablauf einer nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 S. 2 ZPO gesetzten Frist zur Stellungnahme zu dem Gutachten nur dann ausgeschlossen, wenn die richterliche Fristsetzung ordnungsgemäß zugestellt und die Partei auf die Nichtbeachtung der Frist ordnungsgemäß hingewiesen worden ist.
Normenkette
ZPO § 411 Abs. 4 S. 2, § 492 Abs. 1 Hs. 1
Verfahrensgang
LG Göttingen (Beschluss vom 25.06.2012; Aktenzeichen 4 OH 6/11) |
Tenor
Der Beschluss des LG Göttingen vom 25.6.2012 - 4 OH 6/11 - wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das LG Göttingen zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Antragsteller hat mit Antragsschrift vom 2.5.2011 über das Vorhandensein von Schäden an seinem Pkw Audi A6 ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet. Das LG Göttingen hat mit Verfügung vom 16.5.2012 den Beteiligten das zweite Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. vom 14.5.2012 übersandt. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat es ihnen unter Hinweis auf §§ 411 Abs. 4 S. 2, 492 Abs. 1 ZPO eine Frist bis zum 8.6.2012 gesetzt, um Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zum schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Dieser Beschluss ist dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin ausweislich dessen Stellungnahme vom 22.6.2012 am 23.5.2012 zugegangen. Mit Schriftsatz vom 13.6.2012, eingegangen beim LG Göttingen per Telefax am selben Tage, hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin zu dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 14.5.2012 Stellung genommen und eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen zu den Einwendungen seiner Partei sowie die Einholung eines Obergutachtens beantragt. Mit Verfügung vom 13.6.2012 hat das LG darauf hingewiesen, dass das Beweisverfahren nach Ablauf der gesetzten Frist zum 8.6.2012 beendet sei, so dass der Antrag auf eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen und/oder Einholung eines Obergutachtens zurückzuweisen sei. Hieraufhin hat der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 22.6.2012 Stellung genommen und insbesondere darauf hingewiesen, dass die ihm gesetzte Frist unangemessen kurz bemessen gewesen sei. Im Übrigen habe er die Frist schuldlos überschritten. Das LG hat mit Beschluss vom 25.6.2012 die Anträge der Antragsgegnerin vom 13.6.2012 zurückgewiesen. Gegen diesen am 2.7.2012 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 4.7.2012, eingegangen beim LG Göttingen am folgenden Tage, Beschwerde eingelegt. Das LG Göttingen hat mit Beschluss vom 6.7.2012 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten zur Entscheidung dem OLG vorgelegt.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat vorläufigen Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, weil es sich bei dem angefochtenen Beschluss um eine Entscheidung i.S.d. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Eine Einschränkung des Beschwerderechts, wie sie in den Fällen zu erfolgen hat, in denen im selbständigen Beweisverfahren die Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO zurückgewiesen wird (vgl. BGH, Beschl. v. 9.2.2010 - VI ZB 59/09 - BauR 2010, 932), kommt hier nicht zum Tragen, weil die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 13.6.2012 auch eine Erläuterung und Ergänzung des bisherigen Gutachtens im Rahmen der Beweisfragen beantragt hat.
2. Die sofortige Beschwerde hat vorläufigen Erfolg. Mit der gegebenen Begründung des LG kann die Entscheidung nicht aufrechterhalten werden. Das Beweisverfahren ist nicht beendet, so dass im Ergebnis das LG über die Anträge der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 13.6.2012 zu entscheiden haben wird.
Zutreffend geht das LG davon aus, dass das selbständige Beweisverfahren im Falle einer nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 S. 2 gesetzten Frist zur Stellungnahme mit Fristablauf beendet ist (vgl. BGH, Urt. v. 20.2.2002, Tz. 12 - VIII ZR 228/00, NJW 2002, 1640). Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt.
a. Die Antragsgegnerin hat zwar erst nach Ablauf der ihr gesetzten Frist zum Ergänzungsgutachten vom 14.5.2012 Stellung genommen. Ein Ausschluss mit Einwendungen, Fragen oder Anträgen kann aber nur dann ausgelöst werden, wenn die Parteien zuvor auf die Folgen einer Nichtbeachtung der richterlichen Frist ordnungsgemäß hingewiesen worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2010, Tz. 13 - VII ZR 172/09 - BauR 2011, 287; OLG Celle, Beschl. v. 6.3.2009 - 16 W 19/09, NJW-RR 2009, 1364, 1365; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 1.6.2012 - 4 W 86/12 - zitiert bei juris)). Daran fehlt es hier. Die Fristsetzung beinhaltet keinen Hinweis auf den Ausschluss eines erst nach Ablauf der Fr...