Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Pflichtverteidigung in Maßregelvollstreckungssachen (§ 64 StGB)
Leitsatz (amtlich)
Die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers ist auch dann schlechthin unzulässig und unwirksam, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt, aber versehentlich nicht beschieden worden ist.
Im Maßregelvollstreckungsverfahren über die Fortdauer der Unterbringung (hier: in einer Entziehungsanstalt) ist dem Verurteilten in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder die Entscheidung von besonders hohem Gewicht und ersichtlich ist, dass sich der Verurteilte nicht selbst verteidigen kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (u.a. Beschlüsse vom 20.06.2013 (1 Ws 167/13) und 11.08.2014 (1 Ws 232/14)) ist die Mitwirkung eines Verteidigers dabei in entsprechender Anwendung der §§ 140 Abs. 2, 141ff. StPO nicht in allen Fällen der Überprüfung gemäß § 67d und § 67e StGB, sondern nur dann erforderlich, wenn insbesondere aufgrund von Besonderheiten oder Schwierigkeiten im Diagnose- und Prognosebereich es als evident erscheint, dass sich der Verurteilte angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann, oder wenn sonst die Würdigung aller Umstände - wobei der Dauer der weiteren Freiheitsentziehung besonderes Gewicht zukommt - das Vorliegen eines schwerwiegenden Falles ergibt.
Normenkette
StPO § 140 Abs. 2; StGB §§ 64, 67d, 67e
Verfahrensgang
LG Göttingen (Entscheidung vom 21.10.2014) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen bei dem Amtsgericht Rotenburg (Wümme) vom 21. Oktober 2014 aufgehoben und die Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. P. als Pflichtverteidiger abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse. Seine notwendigen Auslagen trägt der Verurteilte selbst.
Gründe
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
I.
Der Beschwerdegegner ist durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 13.10.2010 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 4 Monaten verurteilt worden (Bl. 2ff. Bd. I VH). Zugleich wurden seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und der Vorwegvollzug von 1 Jahr und 2 Monaten der verhängten Freiheitsstrafe angeordnet. Nach seiner Aufnahme im MRVZN Brauel vom 16.05.2011 wurde die Fortdauer der Unterbringung mit Beschlüssen der auswärtigen StVK des Landgerichts Göttingen am Amtsgericht Rotenburg (Wümme) mit Beschlüssen vom 04.11.2011, 08.05.2012, 02.11.2012, 26.04.2013, 24.10.2013 und 17.03.2014 angeordnet.
Das Landgericht Göttingen (auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Rotenburg (Wümme)) setzte mit Beschluss vom 15.08.2014 auf Antrag des Beschwerdegegners v. 12.06.2014 (Bl. 198 Bd. II VH) auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens des Dr. R. v. 15.07.2014 (Bl. 1ff. Bd. III VH) und der ärztlichen Stellungnahme des MRVZN Brauel v. 18.06.2014 (Bl. 67ff. Bd. III VH) die Vollstreckung der Maßregel und des Strafrestes zur Bewährung aus, nachdem sowohl die Staatsanwaltschaft Hannover am 01.08.2014 (Bl. 74 Bd. III VH) als auch der Beschwerdegegner und sein Verteidiger am 30.07.2014 (Bl. 76 Bd. III VH) auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet hatten. Der Beschluss ist seit dem 06.09.2014 rechtskräftig (Bl. 85 Bd. III VH).
Im Rahmen der Anhörung zur Aussetzung des weiteren Vollzugs der Maßregel und wegen der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 15.08.2014 beantragte der Wahlverteidiger seine Beiordnung als Pflichtverteidiger (Bl. 84 Bd. III VH) mit der Begründung, dass er bereits in der Anhörung vom 17.03.2014 die Einholung eines Gutachtens beantragt und hieran am 13.05.2014 erinnert habe.
Nach der (ablehnenden) Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Hannover v. 05.09.2014 (Bl. 108 Bd. III VH) ordnete die auswärtige StVK des Landgerichts Göttingen bei dem Amtsgericht Rotenburg (Wümme) dem Beschwerdegegner mit dem angefochtenen Beschluss vom 21.10.2014 (Bl. 117 Bd. III VH) seinen bisherigen Wahlverteidiger für das Verfahren nach §§ 67d, 67e StGB als Pflichtverteidiger bei.
Gegen die Beiordnung richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
Der Verteidiger des Beschwerdegegners ist der Ansicht, dass die nachträgliche Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger jedenfalls dann erfolgen müsse, wenn der Antrag rechtzeitig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden und entscheidungsreif gewesen sei. Darüber hinaus hätten die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft bereits im Antragszeitpunkt vorgelegen. Im Übrigen habe ihn die Strafvollstreckungskammer bereits durch widerspruchsloses Mitwirkenlassen im Verfahren stillschweigend als Pflichtverteidiger beigeordnet.
II.
Das von der Staatsanwaltschaft ei...