Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwerfung der Berufung bei Erscheinen eines zur Vertretung des Angeklagten bereiten Verteidigers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ist die Berufung zwingend zu verwerfen.

2. Eine den Anforderungen des Urteils des EGMR vom 08.11.2012 (Individualbeschwerde 30804/07) entsprechende konventionsfreundliche Auslegung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ist nicht möglich.

3. Für eine Verfahrenrüge, die auf eine vermeintlich unberechtigte Verwerfung einer Berufung bei Anwesenheit eines Verteidigers gestützt wird, bedarf es im Hinblick auf § 234 StPO der Darlegung, ob der Verteidiger von dem Angeklagten zu seiner Vertretung schriftlich bevollmächtigt worden ist und ob der Verteidiger diese schriftliche Vollmacht dem Gericht nachgewiesen hat.

 

Normenkette

EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. c; StPO §§ 234, 329 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Entscheidung vom 18.09.2013)

 

Tenor

Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Verteidigers wird die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18. September 2013 auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

 

Gründe

Die Revision ist unbegründet, da die Sachrüge nicht begründet und die Verfahrensrüge der Verletzung des Art. 6 Abs. 3 c) EMRK nicht zulässig erhoben ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

"Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts führt nur zu der Prüfung, ob im Revisionsverfahren Verfahrenshindernisse entstanden sind (vgl. Meyer-Goßner, aaO. [StPO, 56. Aufl.], § 329 Rdnr. 49). Solche sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

De Rüge der Verletzung formellen Rechts erscheint unzulässig. Zwar werden an die Zulässigkeit der Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil grundsätzlich keine strengen Anforderungen gestellt (vgl. OLG Nürnberg, 2. Strafsenat, Beschluss vom 21.05.2008 - 2 St OLG Ss 228/07 Rdnr. 12; OLG München, 5. Strafsenat, Beschluss vom 08.09.2005 - StRR 066/05, 5 StRR 66/05 Rdnr. 6 - beide juris). Gleichwohl muss die Revisionsbegründung alle für die Prüfung der gerügten Verletzung des Verfahrensrechts relevanten Tatsachen und Vorgänge ohne Bezugnahme und Verweisungen enthalten (Meyer-Goßner, aaO.' § 344 Rdnr. 20f.). Da der Revisionsführer unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EGMR vom 08.11.2012 die Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO als verfahrensfehlerhaft mit der Begrün-dung rügt, dass der in der Hauptverhandlung abwesende Angeklagte durch einen zu seiner Verteidigung bereiten Verteidiger vertreten gewesen sei, bedarf es im Hinblick auf die Regelung des § 234 StPO auch der Darlegung, ob der Verteidiger von dem Angeklagten zu seiner Vertretung schriftlich bevollmächtigt worden ist und ob der Verteidiger diese schriftliche Vertretungsvollmacht dem Gericht nachgewiesen hat (vgl. OLG Celle, Niedersächsische Rechtspflege 2014, 50f., 52). Dass es sich bei dem in der Hauptverhandlung anwesend gewesenen Verteidiger um den Pflichtverteidiger des Angeklagten gehandelt hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Ebenso wie der Wahlverteidiger bedarf auch der Pflichtverteidiger zur Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung einer besonderen schriftlichen Vertretungsvollmacht (OLG Celle, aaO., m. w. Rspr.nachw.). Ein diesbezüglicher Vortrag kann der Rechtsmittelbegründungsschrift nicht entnommen werden."

Dem tritt der Senat bei.

Die Verfahrensrüge wäre auch nicht begründet gewesen, da die Verfahrensweise des Landgerichts Braunschweig der geltenden Gesetzeslage entspricht.

§ 329 Abs. 1 StPO bestimmt, dass dann, wenn bei Beginn der Hauptverhandlung weder der Angeklagte noch in den Fällen, in denen dies zulässig ist (§§ 232 Abs. 1 S. 1, 233 Abs. 1 S. 1, 234, 411 Abs. 2 Satz 1 StPO) ein Vertreter des Angeklagten erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist, das Berufungsgericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen hat. Ein Ermessen, anders zu entscheiden, besteht nicht.

Unabhängig von der das deutsche Strafprozessrecht betreffenden Vorlagesache (Urteil vom 08.11.2012, Individualbeschwerde Nr. 30804/07 - N. gegen Deutschland) hatten aufgrund dieser eindeutigen Rechtslage schon die Oberlandesgerichte in Düsseldorf (Beschluss vom 27.02.2012, III-2 RVs 11/12; juris) und Hamm (Beschluss vom 14.06.2012, III-1 RVs 41/12; juris) die Frage verneint, ob eine frühere Entscheidung des EGMR (Individualbeschwerde Nr. 13566/06 - P. gegen Finnland) zu einer den Anwendungsbereich des § 329 Abs. 1 StPO einschränkenden Auslegung zwingt. Dem haben sich nunmehr, und zwar in Kenntnis der o.g. jüngsten Entscheidung des EGMR, ausdrücklich auch die Oberlandesgerichte München (Beschluss vom 17.01.2013, 4 StRR (A) 18/12; juris) und Celle (Beschluss vom 19.03.2013, 32 Ss 29/13; juris) angeschlossen.

Auch der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

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