Entscheidungsstichwort (Thema)

Teil-Aussetzung von Verfahren nach § 8 KapMuG im Hinblick auf Feststellungsziele zur örtlichen Zuständigkeit nach § 32b ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG kommt nur in Betracht, wenn das Prozessgericht - ggf. nach Beweisaufnahme - zu der Überzeugung gelangt ist, dass nur noch Tatsachen und Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des Musterverfahrens nicht beantwortet werden können (Anschluss an BGH, Beschluss vom 30. April 2019 - XI ZV 13/18 -, WM 2019, 1553).

2. Die Prüfung, ob die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt und der Rechtsstreit gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auszusetzen ist, obliegt dem sachlich und örtlich zuständigen Gericht.

3. Ist die örtliche Zuständigkeit der Ausgangsgerichte selbst Gegenstand eines Feststellungsziels - wie hier die ausschließliche örtliche Zuständigkeit nach § 32b ZPO -, hat das angerufene Prozessgericht den Rechtsstreit grundsätzlich zunächst nur auf dieses Feststellungsziel auszusetzen (Anschluss an OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. September 2019 - 2 W 47/18 - und öfter; nicht veröffentlicht). Vor dieser Teil-Aussetzung hat es zu prüfen, ob die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen; fehlt es hieran, ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

4. Ist über das Feststellungsziel zur örtlichen Zuständigkeit ein noch nicht rechtskräftiger Teil-Musterentscheid erlassen worden, kann das Prozessgericht das Ausgangsverfahren in entsprechender Anwendung von § 280 Abs. 2 Satz 2 ZPO fortsetzen. Hängt das Ausgangsverfahren dann von weiteren Feststellungszielen des Musterverfahrens ab im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, ist es insgesamt auszusetzen; andernfalls ist die Klage durch Endurteil abzuweisen.

 

Normenkette

KapMuG § 8 Abs. 1 S. 1; ZPO § 32b Abs. 1, § 280 Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 3. Juni 2019 wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 20. Mai 2019 - 5 O 5932/18 - in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 21. Oktober 2019 aufgehoben, soweit der Rechtsstreit im Hinblick auf Feststellungsziele ausgesetzt worden ist, die nicht Gegenstand des Teil-Musterentscheids vom 12. August 2019 - 3 Kap. 1/16 - sind; insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstands wird festgesetzt auf die Wertstufe bis 3.000,00 EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beklagte wendet sich gegen die vom Landgericht gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG beschlossene Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf das vor dem Senat anhängige Kapitalanleger-Musterverfahren - 3 Kap. 1/16 -.

Der Kläger macht mit seiner am 19. Dezember 2018 eingereichten Klage bezüglich 48 Vorzugsaktien der Beklagten gemäß § 37b Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. den Transaktionsschaden geltend. Er habe im April 2015 die Vorzugsaktien zu einem Kurs von 249,01 EUR (mithin für insgesamt 11.952,48 EUR) gekauft, deren Inhaber er noch sei. Aufgrund des Bekanntwerden des "Abgas-Skandals" - von dem die Beklagte seit dem Jahr 2007 gewusst habe - sei der Aktienkurs im September 2015 massiv gefallen, letztlich auf 97,18 EUR am 6. November 2015. Hätte der Kläger von den manipulierten Abgaswerten gewusst, hätte er die Aktien nicht erworben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 19. Dezember 2018 (Bl. 1-7 d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit der Zustellungsverfügung vom 15. Februar 2019 auf die Möglichkeit der Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG im Hinblick auf den Vorlagebeschluss vom 5. August 2016 - 5 OH 62/16 - (Oberlandesgericht Braunschweig - 3 Kap. 1/16 -) hingewiesen.

Die Beklagte ist einer Aussetzung entgegengetreten. Aus der Anlage K 1 ergebe sich, dass der Kläger und seine Ehefrau Inhaber - und damit Gesamtgläubiger - des Aktiendepots seien; der Kläger könne nicht Leistung an sich allein verlangen, die Klage sei deshalb gegenwärtig unbegründet und abzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 5. März 2019 (B. 14 f. d.A.) Bezug genommen.

Daraufhin hat der Kläger vorgetragen, seine Ehefrau sei über die Aktiengeschäfte stets informiert und damit einverstanden gewesen; sie habe ihn konkludent bevollmächtigt, in ihrem Namen zu handeln; dazu reichte der Kläger die Vollmachtsurkunde seiner Ehefrau vom 6. Mai 2019 (Anlage K 2) ein. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 8. Mai 2019 (Bl. 17 f.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Rechtsstreit mit angefochtenem Beschluss vom 20. Mai 2019 (Bl. 19-21 d.A.) - auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird - gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt. Das Musterverfahren sei vorgreiflich; der Rechtsstreit sei insbesondere nicht bereits jetzt entscheidungsreif: Bei der Klage von Gesamtgläubigern liege keine notwendige Streitgenossenschaft im Sinne des § 62 ZPO vor, so dass nicht alle Gesamtgläubiger zusammen klagen müssten; jeder der Gläubiger sei in vol...

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