Leitsatz (amtlich)
Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 S. 1 StPO iVm § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG gilt auch nach einem Urteil, durch welches der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wegen Terminssäumnis durch Prozessurteil verworfen worden ist, also eine Sachentscheidung noch nicht ergangen ist, für das weitere Verfahren nach Einlegung der Rechtsbeschwerde.
Gründe
I. Durch Bußgeldbescheid der Stadt Göttingen vom 15. März 2001 ist der Betroffene wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung um 36 km/h mit einer Geldbuße von 250, 00 DM belegt worden. Nach zulässigem Einspruch hat das Amtsgericht Göttingen diesen durch Urteil vom 03. Mai 2001 verworfen, da der Betroffene ohne Entschuldigung in der Hauptverhandlung ausgeblieben war. Dieses Urteil ist auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufgehoben worden. Nach erneuter Hauptverhandlung hat das Amtsgericht Göttingen den Betroffenen nunmehr wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 300, 00 DM verurteilt. Hierzu hat es festgestellt, dass der Betroffene am 03. 01. 2001 gegen 17. 36 Uhr auf der Bundesautobahn A 7 Kassel/Hannover in Höhe von km 265, 190 die dort angeordnete Geschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug der Messtoleranz von 3 % um mindestens 36 km/h überschritten und diese Überschreitung zumindest billigend in Kauf genommen hat. Hiergegen hat der Betroffene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde eingelegt, diese mit der Sachrüge begründet und beantragt, eine Geldbuße von nicht mehr als 150, 00 DM festzusetzen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zuzulassen sowie das angefochtene Urteil (im Rechtsfolgenausspruch) aufzuheben und die Geldbuße auf 250, 00 DM festzusetzen, da das Amtsgericht gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen habe; im Übrigen ist sie der Auffassung, dass die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg bleiben müsse.
II. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist in zulässiger Weise eingelegt und begründet worden; er hat in der Sache selbst in dem von der Generalstaatsanwaltschaft beantragten Umfang auch einen Teilerfolg, weil die Entscheidung des Amtsgerichts nicht mit dem Verschlechterungsverbot der §§ 358 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG vereinbar ist.
Das genannte Verschlechterungsverbot gilt zwar im Verfahren nach zulässigem Einspruch nicht, wie sich eindeutig aus den §§ 411 Abs. 4 StPO, 71 Abs. 1 OWiG ergibt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , § 411 Rdnr. 11); eine Ausnahme davon hat der Gesetzgeber lediglich im Beschlussverfahren nach § 72 Abs. 3 S. 2 OWiG vorgesehen. Nach Einlegung der Rechtsbeschwerde bzw. des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt das Verschlechterungsverbot jedoch in vollem Umfang, also auch nach einem Urteil, durch welches der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wegen Terminssäumnis durch Prozessurteil verworfen worden ist. Dies beruht bereits auf der allgemeinen Verweisung der §§ 79 Abs. 3 S. 1, 80 Abs. 3 S. 1 OWiG, wonach alle die Revision betreffenden Verfahrensbestimmungen der Strafprozessordnung, also auch § 358 Abs. 2 S. 1 StPO, entsprechend anzuwenden sind. (Anders ist dies nur, wenn gegen das einspruchverwerfende Urteil die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 74 Abs. 4 S. 1 OWiG beantragt wird, da im Falle einer erfolgreichen Wiedereinsetzung der Prozess in den Zustand zurückversetzt wird, der bestanden hätte, wenn die Verhandlung nicht versäumt worden wäre; denn Vorteile, die der Betroffene ohne die Versäumung nicht gehabt hätte, erlangt er auch durch die Wiedereinsetzung nicht, Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45, Aufl. , § 44 Rdnr. 24 m. Rspr. Nw. . )
Die für diesen Fall gegen die Anwendung des Verschlechterungsverbots von Göhler (OWiG, 12. Aufl. , § 79 Rdnr. 36) geäußerten "Zweifel" (ohne eine dogmatisch begründete Gegenlösung anzubieten) greifen nicht durch. Göhler weist zwar zutreffend darauf hin, dass sich die im Ergebnis gleiche Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg in NStZ 1997, 397 darauf stütze, dass der damals noch gültige § 74 Abs. 2 OWiG a. F. die Wahlmöglichkeit zulasse, statt durch Einspruchsverwerfung auch nach Abs. 1 durch Sachurteil zu entscheiden; damit stelle auch das den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG a. F. bestätigende Urteil eine richterlich verantwortete Sachentscheidung dar. § 74 Abs. 2 OWiG n. F. räume dem Amtsgericht diese Wahlmöglichkeit jedoch nicht mehr ein, sondern verpflichte das Amtsgericht zur Einspruchsverwerfung, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausbleibe. Nach Auffassung des Senats kann dem Gesetz allerdings nicht entnommen werden, dass Voraussetzung für die Anwendung des Verschlechterungsverbots "eine richterlich verantwortete Sachentscheidung" sein soll. Entscheidend ist vielmehr, dass das einspruchsverwerfende Prozessurteil einem Sachurteil in Wirkung und Rechtskraftfähigkeit gleichsteht. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Begründung dafür, dass das Verschlechterungsverbot auch nach einer amtsgeric...