Leitsatz (amtlich)
Im Falle der Revisionsrücknahme fällt die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG nur an, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ausnahmsweise eine Hauptverhandlung anberaumt wird.
Tenor
Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Braunschweig wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 8. Juni 2011 aufgehoben.
Die Erinnerung des Rechtsanwalts W... S... gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 18. April 2011 wird als unbegründet verworfen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde hat Erfolg.
I.
Der Verteidiger Rechtsanwalt S. nahm an der Hauptverhandlung erster Instanz gegen die Angeklagte vor dem Landgericht Braunschweig teil. Gegen das Urteil des Landgerichts legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch er zu Gunsten der Angeklagten Revision ein, zugleich rügten beide Seiten die Verletzung materiellen Rechts. Nachdem die Urteilsausfertigung mit den schriftlichen Urteilsgründen erstellt und zugestellt worden war, nahmen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verteidiger jeweils die Revision zurück. Der Verteidiger beantragte für das Revisionsverfahren die Festsetzung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG sowie - darüber hinaus - die Festsetzung der Gebühr Nr. 4141 VV RVG als zusätzlicher Gebühr, da durch seine anwaltliche Mitwirkung, nämlich insbesondere durch die Rücknahme der Revision, die Hauptverhandlung entbehrlich geworden sei. Durch den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 18. April 2011 wurde jedoch die letztgenannte Gebühr abgesetzt, "da zum Zeitpunkt der Rücknahme der Revision die Akten noch nicht dem BGH vorlagen und daher auch noch nicht beurteilten werden konnte, ob dort einer Hauptverhandlung stattfinden würde". Hierbei bezog sich die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg vom 16. Juni 2008 (2 Ws 82/08; StRR 2009, 239). Auf die vom Verteidiger hiergegen eingelegte Erinnerung hat die zuständige Strafkammer des Landgerichts durch den angefochtenen Beschluss auch die Vergütung nach Nr. 4141 VV RVG nebst Mehrwertsteuer in Höhe von 490,28 € festgesetzt. Dagegen hat der Bezirksrevisor beim Landgericht Braunschweig Beschwerde eingelegt und beruft sich auf die von zahlreichen Oberlandesgerichten vertretene Auffassung, wonach die genannte Gebühr nur entstehen könne, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass bei einer Fortführung der Revision des Angeklagten eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre; letzteres lasse sich jedenfalls nicht beurteilen, solange die Revision nicht dem Revisionsgericht vorgelegt worden sei.
II.
Die Beschwerde ist nach Auffassung des Senats, der nach den §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1, 2. Halbsatz RVG (im Umkehrschluss) in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden hat, zulässig und auch in der Sache selbst begründet. Der Senat teilt die Auffassung des Bezirksrevisors, dass im Falle der Revisionsrücknahme die Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG nur anfällt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ausnahmsweise eine Hauptverhandlung anberaumt wird.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Tatbestandes der Gebührenbeschreibung der Nr. 4141 VV RVG ist Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr, dass "die Hauptverhandlung entbehrlich" wird. Die (kleiner gedruckten) näheren Ausführungen nach diesem Gebührentatbestand stellen lediglich weitere Voraussetzungen und Erklärungen für diesen Gebührentatbestand dar, sodass sich entgegen der Auffassung des Landgerichts aus Abs. 1 Nr. 3 dieser näheren Ausführungen nicht der Schluss ziehen lässt, dass der oben beschriebene Gebührentatbestand - das Entbehrlichwerden der Hauptverhandlung - dadurch wieder obsolet würde. Vielmehr ist durch die Neuregelung dieses Gebührentatbestandes der Grundgedanke zu § 84 Abs. 2 BRAGO übernommen worden, dass eine intensive und zeitaufwendige Tätigkeit des Verteidigers außerhalb der Hauptverhandlung gebührenrechtlich honoriert werden soll, wenn diese intensiven Tätigkeiten zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führen (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 219 bis 230 - zu Nr. 4141 - OLG Hamm, NStZ-RR 2007, 160, m. w. N.). Demgemäß ist aber die vom Gesetzgeber gewollte Honorierung dort nicht angezeigt, wo der Anfall der Hauptverhandlungsgebühr gar nicht zu erwarten steht. Würde man mit dem Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschl. v. 12.09.2005, zit. nach www.buhrhoff.de) gleichwohl die Gebühr zuerkennen, stünde sich der Verteidiger, der die eingelegte (und ggf. begründete) Revision zurücknimmt, gebührenrechtlich besser als der, der das Revisionsverfahren durchführt, ohne dass es zu einer Hauptverhandlung kommt. Das würde geradezu einen Anreiz schaffen, eine Revision einzulegen, mit der allgemeinen Sachrüge zu begründen und anschließend wieder zurückzunehmen. Statt zu einer Arbeitsentlastung bei der Justiz käme es zu ei...