Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine schuldhafte Säumnis bei abschlägiger Bescheidung eines Verfahrenskostenhilfeantrags fünf Tage vor dem Termin und dadurch bedingter fehlender anwaltlicher Vertretung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein rechtzeitig vor dem Termin gestellter Verfahrenskostenhilfeantrag eines Antragsgegners in einer Familienstreitsache erst so knapp vor dem Termin abschlägig beschieden, dass es bei einem gewöhnlichen Lauf der Dinge einem sorgsam handelnden Rechtssuchenden nicht möglich ist, sich angemessen zu verteidigen, so ist der anberaumte Termin zu vertagen.

 

Normenkette

ZPO § 514 Abs. 2, § 538 Abs. 2 Nr. 6

 

Verfahrensgang

AG Braunschweig (Aktenzeichen 245 F 37/22)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 09.08.2022 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Braunschweig zurückverwiesen.

II. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Im Übrigen wird das Amtsgericht im Rahmen seiner Endentscheidung über die Kosten des Verfahrens einschließlich der im Beschwerdeverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu entscheiden haben.

III. Der Beschwerdewert wird auf 7.245,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegner ist der Vater des minderjährigen Kindes D.-A. P., geb. am 07.04.2009, für das der Antragsteller Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) erbringt. Dieser hat am 08.12.2021 beim Amtsgericht Braunschweig einen Antrag auf Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren für den Zeitraum ab 01.01.2021 eingereicht. Nach Übergang ins streitige Verfahren ist in dem vom Amtsgericht anberaumten Termin am 10.05.2022 für den Antragsgegner niemand erschienen, woraufhin der Antragsgegner durch Versäumnisbeschluss vom 10.05.2022 antragsgemäß verpflichtet worden ist, für seine Tochter ab dem 01.03.2022 laufenden Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des Mindestunterhalts der jeweils maßgeblichen Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle abzüglich des vollen Kindergeldes sowie für die Zeit vom 01.01.2021 bis zum 28.02.2022 einen Unterhaltsrückstand i.H.v. 4.105,00 EUR an den Antragsteller zu zahlen. Hiergegen hat der Antragsgegner fristgerecht Einspruch eingelegt und diesen mit Schriftsatz vom 07.07.2022 begründet.

Mit Beschluss vom 04.08.2022 hat das Amtsgericht den mit der Einspruchsbegründung gestellten Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Die Kanzlei der damaligen Verfahrensbevollmächtigten teilte sodann am 05.08.2022 mit, der Termin am 09.08.2022 werde von ihr nicht wahrgenommen werden. Der Antragsgegner bat sowohl telefonisch am 04.08.2022 als auch per E-Mail vom 08.08.2022 um Terminverlegung, da er bei seinem neuen Anwalt erst für den 10.08.2022 einen Termin bekommen habe.

Zu dem vom Amtsgericht nicht verlegten Verhandlungstermin am 09.08.2022 ist neben den Vertreterinnen des Antragstellers nur der nicht anwaltlich vertretene Antragsgegner erschienen. Daraufhin hat das Amtsgericht durch Beschluss vom selben Tag die Versäumnisentscheidung vom 10.05.2022 aufrechterhalten. Gegen diesen seiner jetzigen Verfahrensbevollmächtigten am 30.12.2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner als Einspruch bezeichneten Beschwerde vom 07.09.2022. Zur Begründung der Beschwerde führt der Antragsgegner u.a. aus, eine schuldhafte Säumnis im Termin am 09.08.2022 habe nicht vorgelegen, da es ihm innerhalb der kurzen Zeit nicht möglich gewesen sei, einen neuen Verfahrensbevollmächtigten zu beauftragen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Verfahrensverlaufs wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 25.05.2023 Bezug genommen, in dem auch auf die Möglichkeit einer Zurückverweisung der Angelegenheit hingewiesen worden ist.

Mit Schriftsatz vom 16.6.2023 hat der Antragsteller daraufhin beantragt, das Verfahren an das Familiengericht Braunschweig zurückzuverweisen.

II. Die gem. §§ 117 Abs. 2, 58 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 514 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde des Antragsgegners führt zur Aufhebung des zweiten Versäumnisbeschlusses vom 09.08.2022 und zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das Familiengericht.

Insoweit hat der Senat in dem Hinweisbeschluss vom 25.05.2023 Folgendes ausgeführt:

"1. Das als Einspruch bezeichnete Rechtsmittel des Antragsgegners gegen die zweite Versäumnisentscheidung vom 09.08.2022 ist als Beschwerde auszulegen, da diese vorliegend das einzig statthafte Rechtsmittel darstellt. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 514 Abs. 2 ZPO unterliegt eine zweite Versäumnisentscheidung, gegen die ein Einspruch gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 345 ZPO nicht statthaft ist, der Beschwerde, wenn sie darauf gestützt wird, der Fall einer schuldhaften Säumnis habe nicht vorgelegen. Einen solchen Fall macht der Antragsgegner geltend, indem er vorträgt, die zweite Versäumnisentscheidung habe nicht ergehen dürfen, da der Amtsrichter, der erst wenige...

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