Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Beschäftigung des Ehegatten beim verklagten Fahrzeughersteller
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, ob ein Dienst-, Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis oder eine Mitgliedschaft zu bzw. bei einem Prozessbeteiligten einer Person, die mit einem für den Prozess zuständigen Spruchkörpermitglied verheiratet ist, die Besorgnis dessen Befangenheit rechtfertigt, kommt es einerseits auf die Größe des Betriebes oder der Organisation an, andererseits auf die Stellung und das Tätigkeitsgebiet der betreffenden Person innerhalb der Organisation.
2. Eine Richterin, deren Ehemann Angestellter einer großen Aktiengesellschaft ist, ist regelmäßig nur in einem Prozess dieses Unternehmens befangen, in den ihr Ehemann involviert ist oder der die Existenz des Unternehmens betrifft.
3. Diese Voraussetzungen sind bei einer Richterin, die mit einer gegen die Volkswagen AG gerichteten Klage wegen eines Fahrzeugs mit dem Motor EA288 befasst ist, den der Kläger als vom sog. Diesel-Abgas-Skandals betroffen ansieht, nicht erfüllt, wenn ihr Ehemann bei der Beklagten ausschließlich im Vertrieb und ohne Führungsposition beschäftigt war und ist; der Umstand, dass gegen dieselbe Beklagte auch zahlreiche weitere Klagen in Bezug auf Fahrzeuge mit dem Motor EA288 anhängig sind, reicht ohne Weiteres nicht aus, existentielle oder ähnlich erhebliche Auswirkungen für die Beklagte anzunehmen.
Normenkette
ZPO §§ 42, 46 Abs. 2, §§ 48, 567 Abs. 1 Nr. 1, § 569
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Beschluss vom 19.05.2021; Aktenzeichen 3 O 3259/20) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 19. Mai 2021 - 3 O 3259/20 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 18.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche im Zusammenhang mit seinem VW T6 mit dem Diesel-Motor EA288 geltend. Er ist der Auffassung, dass das Fahrzeug vom sog. Dieselabgasskandal betroffen sei.
Mit Verfügung vom 18.3.2021 hat die zuständige Einzelrichterin, Frau Richterin X., mitgeteilt, dass ihr Ehemann bei der Beklagten im Vertrieb arbeite. Daraufhin hat sie der Kläger mit Antrag vom 12.4.2021 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. In ihrer dienstlichen Äußerung vom 16.4.2021 hat die Richterin X. ergänzend erklärt, ihr Ehemann habe bei der Beklagten nie in der Forschung und Entwicklung gearbeitet; er habe auch keine Führungsposition inne. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 5.5.2021 seinen Ablehnungsantrag aufrechterhalten und ausgeführt, der Fall entspreche der Konstellation von Richterinnen, deren Ehegatten im Anwaltsbüro eines der beteiligten Prozessbevollmächtigten tätig seien. Vorliegend müsse der Ehegatte und damit auch die Richterin ein hohes Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits haben, weil die Grundlage des Arbeitsplatzes des Ehemannes betroffen sei.
Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch mit dem angefochtenen Beschluss vom 19.5.2021 zurückgewiesen. Der Ehemann der abgelehnten Richterin sei als Vertriebsbeschäftigter vom Prozess nicht betroffen. Die Existenz der Beklagten sei durch den Prozess nicht gefährdet. Gegen diesen seinen damaligen Prozessbevollmächtigten am 25.5.2021 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit dem am 8.6.2021 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit gesondertem Schriftsatz seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 17. Juli 2021 begründet. Der Kläger trägt vor, die möglicherweise fehlende Unvoreingenommenheit der Richterin reiche für die berechtigte Ablehnung aus. Da es sich um eine hohe Anzahl an "Diesel"-Klagen handele, bestehe ein großes Interesse bei der Beklagten an der Klageabweisung. Im Unterliegensfalle sei die Beklagte zu Restrukturierungsmaßnahmen gezwungen, was sich auch auf den Arbeitsplatz des Ehemannes der Richterin auswirken würde. Das Landgericht hat die Sache mit Beschluss vom 28.7.2021 ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die gem. §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen Sachverhalt handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Würdigung Anlass gibt, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 82, 30/38; BGHZ 77, 70/72; BayObLGZ 1987, 211/217).
Grundsätzlich sind nur nahe persönliche oder enge geschäftliche Beziehungen zwischen dem Richter und einem Prozessbeteiligten geeignet, die Unparteilichkeit eines Richters in Frage zu stellen (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2021 - I ZB 16/20, Rn. 4; vom 31. Januar 2005 - II ZR 304/03, BGHReport 2005, 1350 [juris Rn. 2]; vom 10. Juni 2013 - AnwZ (Brfg) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 8; vom 7....