Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortdauer der Unterbringung ein einem psychiatrischen Krankenhaus: Pädophilie als schwere andere seelische Abartigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nur dann für erledigt zu erklären, wenn mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass der Defektzustand oder die daraus resultierende Gefährlichkeit des Täters weggefallen ist; Zweifel gehen zu Lasten des Untergebrachten.

2. Eine Pädophilie kann den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB erreichen. Aufgrund einer Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Taten ist darauf abzustellen, ob die pädophilen Neigungen den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er nicht die zur Bekämpfung seiner Triebe erforderlichen Hemmungen aufbringt; in diesem Fall ist die Annahme einer rechtserheblichen Störung gerechtfertigt.

3. Ob das beim Täter vorliegende Störungsbild unter eines der Eingangsmerkmale von §§ 20, 21 StGB zu subsumieren ist, ist eine Rechtsfrage. Das Gericht ist nicht gehindert, von dem Gutachten eines Sachverständigen abzuweichen.

 

Normenkette

StGB §§ 20-21, 63, 67d

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 16.08.2017; Aktenzeichen 2 BvR 1496/15)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der Großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer (nachfolgend: Untergebrachter) wurde durch Urteil des Landgerichts H. vom 24. September 2004 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Nach den Feststellungen des Urteils folgte der Untergebrachte am 25. Februar 2004 in einem Hallenbad einem damals dreizehnjährigen Jungen in eine Toilettenkabine, stellte sich vor die Tür, hielt den Mund des Jungen zu und forderte diesen auf, sich auf die Toilettenschüssel zu setzen und die Badehose herunterzuziehen. Nachdem der verängstigte Junge dieser Aufforderung Folge geleistet hatte, berührte der Untergebrachte den Penis und das Gesäß des Jungen, entblößte anschließend seinen eigenen Unterleib und masturbierte seinen Penis bis zum Samenerguss. Das Ejakulat spritzte er dem Jungen ins Gesicht. Die Tat dauerte mindestens zehn Minuten. Der Untergebrachte hatte zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von circa 1,2 g/Promille (Bl. 5/6 Bd. I VH). Die Kammer ging auf Basis eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. B. davon aus, dass die Steuerungsfähigkeit des Untergebrachten zur Tatzeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich vermindert war. Beim Untergebrachten bestehe eine Pädophilie bei einer Persönlichkeitsstörung, die mit emotional instabilen und unreifen Elementen gekennzeichnet sei, wobei diese Persönlichkeitsstörung fixierte, unflexible Reaktionen auf Belastungen in allen Bereichen der Persönlichkeit mit der Neigung zu verbal-aggressiven oder auch tätlichen Impulsdurchbrüchen umfasse. Hinzu kämen deutliche Hinweise auf eine intellektuelle Teilleistungsschwäche und ein nicht unerheblicher Alkoholmissbrauch. Infolge dieses komplexen Krankheitsbildes und unter dem Einfluss - wenn auch geringen - Alkoholkonsums im Tatvorfeld sei der Untergebrachte in seinem Hemmungsvermögen gegenüber dem Tatanreiz erheblich vermindert gewesen.

Vor dieser Tat hatte der Untergebrachte bereits eine vierjährige Jugendstrafe wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung in zwei Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung sowie wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Tatzeiten: Herbst 1998 bis Juni 1999) vollständig verbüßt. Er war am 1. Juli 2003 aus dem Strafvollzug entlassen worden.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird seit dem 22. November 2004 vollzogen. Zuvor hatte der Untergebrachte sich seit dem 4. März 2004 in Untersuchungshaft befunden. Nach Aufenthalten in den Maßregelvollzugsanstalten W. und K. befindet er sich seit dem 5. Oktober 2005 im Maßregelvollzugszentrum N. in M., zeitweise auch in der Außenstelle G. Seitdem wurde er zweimal von externen Sachverständigen begutachtet:

Zunächst erstattete der Sachverständige Dr. J. am 9. Oktober 2009 ein Gutachten. Er diagnostizierte beim Untergebrachten eine homosexuelle Pädophilie, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit unreifen und passiv-aggressiven Zügen sowie einen schädlichen Gebrauch von Alkohol - in beschützter Umgebung abstinent. Die dissozial-psychopathische Störung mache den Untergebrachten schwer therapierbar. Er sei nicht bereit, das Behandlungsregime des Teams zu akzeptieren, versuche die eigenen Vorstellungen durchzusetzen und nur das zu tun, was ihm sinnvoll erscheine bzw...

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