Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einer Auslieferung in die Türkei bei belastbarer Zusicherung EMRK-konformer Haftbedingungen und fehlender Gefahr der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren im Bereich der allgemeinen Kriminalität. Strafprozessrecht. Auslieferung. Europäisches Auslieferungsabkommen. bedenkliche Haftbedingungen. Zusicherung. Grundrecht auf ein faires Verfahren. Unabhängigkeit der Gerichte. Türkei

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einer Zulässigkeit einer Auslieferung in die Türkei entgegenstehenden Bedenken im Hinblick auf die dortigen Haftbedingungen kann durch die Zusicherung EMRK-konformer Haftbedingungen begegnet werden.

2. Der Zulässigkeit einer Auslieferung kann nach § 73 S. 1 IRG eine dem Verfolgten drohende Verletzung seines Grundrechts auf ein faires Verfahren entgegenstehen, wenn der Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte im ersuchenden Staat nicht gewährleistet ist.

 

Normenkette

IRG §§ 29, 32, 73 S. 1; EuAlÜbk Art. 12; EMRK Art. 3

 

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten ... an die Republik Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in dem Auslieferungsersuchen der 2. Großen Strafkammer des Gerichts zu Tunceli vom 28.10.2020 aufgeführten Taten wird für zulässig erklärt.

 

Gründe

I.

Die türkischen Justizbehörden ersuchen mit einem Auslieferungsersuchen der 2. Großen Strafkammer des Gerichts zu Tunceli vom 28.10.2020 um die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafverfolgung. Gegen den Verfolgten ist am 09.03.2020 ein Haftbefehl des 2. Großen Strafkammer des Gerichts zu Tunceli erlassen worden (Az. 2018/181). Nach den Angaben im Auslieferungsersuchen wird dem Verfolgten zur Last gelegt, am 06.08.2016 in Tunceli (Türkei) im Rahmen eines Streits den Geschädigten ... unter anderem mit einem Stuhl geschlagen zu haben, worauf der Geschädigte zu Boden gefallen sei, eine Verletzung des Gehirns erlitten habe und später in einem Krankenhaus gestorben sei. Als anzuwendende Strafbestimmungen sind die Artt. 86/3-e, 87/4 und 53 des türkischen Strafgesetzbuchs angegeben (Körperverletzung mit Todesfolge), die Strafandrohung nach türkischem Recht beträgt nach diesen Angaben im Höchstmaß 16 Jahre Freiheitsstrafe und die Verjährungsfrist 15 Jahre. Zur Identifikation des Verfolgten enthält das Auslieferungsersuchen dessen türkische Identitätsnummer, in der zugehörigen Interpol-Fahndungsausschreibung (Interpol Red Notice) vom 20.07.2020 sind weiter enthalten drei Fotos des Verfolgten sowie die Nummern seines Reisepasses, seiner Identitätskarte und seines Führerscheins.

Der Senat hat mit Auslieferungshaftbefehl vom 24.05.2021 die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet. Der Verfolgte ist 05.11.2021 festgenommen worden und befindet sich seither in Auslieferungshaft; er hat in seiner mündlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Bremen am 01.12.2021 sich mit einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt. Mit Beschluss vom 16.12.20221 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft beschlossen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 01.12.2021 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Türkei zur Strafverfolgung für zulässig zu erklären. Der Verfolgte hat mit Schriftsätzen vom 26.11.2021, 06.12.2021 und 22.12.2021 Stellung genommen.

II.

Da der Verfolgte sich mit seiner Auslieferung nicht einverstanden erklärt hat, hatte der Senat gemäß den §§ 29, 32 IRG über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden.

In Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 01.12.2021 war die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in dem Auslieferungsersuchen der 2. Großen Strafkammer des Gerichts zu Tunceli vom 28.10.2020 aufgeführten Taten für zulässig zu erklären. An der bereits im Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 24.05.2021 sowie im Haftfortdauerbeschluss vom 16.12.2021 im Rahmen des § 15 Abs. 2 IRG vorgenommenen Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Republik Türkei zum Zweck der Strafverfolgung hat sich nichts geändert.

1. Der Auslieferungsverkehr mit der Republik Türkei findet auf Grundlage des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) in Verbindung mit dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zu jenem Übereinkommen statt. Die Bestimmungen des IRG finden Anwendung, soweit in diesen Vereinbarungen keine vorrangigen Regelungen enthalten sind (siehe § 1 Abs. 3 IRG).

2. Die nach Art. 12 EuAlÜbk erforderlichen Auslieferungsunterlagen liegen vor. Das Auslieferungsersuchen der 2. Großen Strafkammer des Gerichts zu Tunceli vom 28.10.2020 wurde mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 26.01.2021 dem Auswärtigen Amt übergeben und enthält eine Darstellung des dem Verfolgten zur Last gelegten Sachverhalts, welcher sich nach den dortigen Angaben am 06.08.2016 in Tunceli (Türkei) abgespielt haben soll, sowie der Beweismittel und ferner ein Aktenüberprüfungsprotokoll in deutscher Übersetzung, in dem die Prozessgeschichte u...

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