Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Beiordnung und kein Akteneinsichtsrecht für den Beistand im ersuchenden Mitgliedstaat nach § 83c Abs. 2 IRG im Rahmen des vor den deutschen Gerichten geführten Auslieferungsverfahrens. Strafprozessrecht. Europäischer Haftbefehl. Auslieferungsverfahren. Beistand. Akteneinsicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 40 IRG sieht eine Beiordnung des im ersuchenden Staat zur Vertretung der Interessen des Verfolgten tätigen Rechtsanwalts als Beistand des Verfolgten im Rahmen des vor den deutschen Gerichten geführten Auslieferungsverfahrens nicht vor.

2. Auch im Rahmen des Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls ergibt sich aus der Pflicht zur Unterrichtung des Verfolgten nach § 83c Abs. 2 IRG über sein Recht zur Benennung eines Beistands im ersuchenden Mitgliedstaat kein Anspruch auf Beiordnung dieses Beistands als Beistand im hiesigen Auslieferungsverfahren.

3. Der vom Verfolgten nach § 83c Abs. 2 IRG benannte Beistand im ersuchenden Mitgliedstaat hat kein eigenes Akteneinsichtsrecht im Rahmen des vor den deutschen Gerichten geführten Auslieferungsverfahrens.

4. Nach dem Zweck der Regelung des § 83c Abs. 2 IRG, eine Beratung und Information des Beistands für das vor den deutschen Gerichten geführte Auslieferungsverfahren zu ermöglichen, kann im Fall der Benennung eines Beistands im ersuchenden Mitgliedstaat nach § 83c Abs. 2 IRG eine Verlängerung von Stellungnahmefristen für den Beistand im Auslieferungsverfahren in Betracht kommen.

 

Normenkette

IRG §§ 40, 83c Abs. 2

 

Tenor

I. Der Antrag auf Beiordnung von Herrn Avocat D. als Beistand des Verfolgten wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht für Herrn Avocat D. wird abgelehnt.

III. Rechtsanwalt C. als Beistand des Verfolgten wird eine Stellungnahmefrist zum Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 15.08.2018 bis zum 10.09.2018 gewährt.

 

Gründe

I.

Der Verfolgte wurde am 14.08.2018 aufgrund einer luxemburgischen Festnahmeausschreibung im Schengener Informationssystem in Bremen festgenommen. Der Ausschreibung liegt ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts von und zu Luxemburg vom 26.02.2018 wegen des Vorwurfs eines versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls in Strassen im Großherzogtum Luxemburg zugrunde (Az. ...).

Am 14.08.2018 hat das Amtsgericht Bremen gegen den Verfolgten eine Festhalteanordnung erlassen. Bei seiner richterlichen Vernehmung hat sich der Verfolgte mit einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt. Mit Beschluss des Vorsitzenden des Senats vom 15.08.2018 ist Rechtsanwalt C. nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG zum Beistand des Verfolgten bestimmt worden. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat am 23.08.2018 einen Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten erlassen. Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 15.08.2018 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten an das Großherzogtum Luxemburg zum Zweck der Strafverfolgung für zulässig zu erklären.

Mit Schriftsatz vom 03.09.2018 hat der Beistand des Verfolgten mitgeteilt, dass der Verfolgte zusätzlich zu ihm auch Herrn Avocat D. als Rechtsanwalt im Großherzogtum Luxemburg mit der Vertretung seiner Interessen als Beistand gemäß § 83c IRG beauftragt habe. Der Beistand des Verfolgten hat sodann in Absprache mit Herrn Avocat D. dessen Beiordnung als Beistand beantragt und die Gewährung von Akteneinsicht an Herrn Avocat D. sowie einer gemeinsamen Stellungnahmefrist für sich und Herrn Avocat D. bis zum 10.09.2018.

II.

1. Der Antrag auf Beiordnung von Herrn Avocat D. als Beistand im vorliegenden Auslieferungsverfahren war abzulehnen, denn dem Verfolgten ist bereits Rechtsanwalt C. als Beistand beigeordnet. § 40 IRG sieht die zusätzliche Beiordnung eines im ersuchenden Staat zur Vertretung der Interessen des Verfolgten tätigen Rechtsanwalts als Beistand des Verfolgten im Rahmen des vor den deutschen Gerichten geführten Auslieferungsverfahrens nicht vor. Auch im Rahmen des Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls ergibt sich aus der Pflicht zur Unterrichtung des Verfolgten nach § 83c Abs. 2 IRG über sein Recht zur Benennung eines Beistands im ersuchenden Mitgliedstaat nichts anderes.

a. Nach § 40 Abs. 2 IRG ist dem Verfolgten, der noch keinen Beistand gewählt hat, bei Vorliegen einer der in § 40 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 IRG genannten Voraussetzungen ein Beistand im Rahmen des vor den deutschen Gerichten geführten Auslieferungsverfahrens zu bestellen. Diese Bestimmung steht in systematischem Zusammenhang zu § 40 Abs. 1 IRG, der das Recht des Verfolgten betrifft, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Beistands zu bedienen. Damit ist ausschließlich das vor den deutschen Gerichten geführten Auslieferungsverfahren gemeint, da das IRG nicht ein Recht zur Hinzuziehung eines Rechtsbeistands in Verfahren vor ausländischen Gerichten regeln kann. Hieraus ergibt sich, dass auch die Beistandsbestellung nach § 40 Abs. 2 IRG nur in Bezug auf einen Beistand erfolgen kann, der als solcher im Rahmen des vor den deutschen Gerichten geführten Ausl...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge