Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater gemäß § 1626a BGB, wenn der Übertragung gewichtige Nachteile für das Kind entgegenstehen
Leitsatz (amtlich)
Wird der allein sorgeberechtigten Kindesmutter das Sorgerecht entzogen, kann eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater nicht nur dann ausscheiden, wenn sie kindeswohlgefährdend wäre, sondern schon dann, wenn ihr weniger gewichtige Nachteile für das Kind entgegenstehen, die im konkreten Fall die Übertragung als dem Wohl des Kindes widersprechend erscheinen lassen (hier: unsicher-vermeidende Bindung des seit mehr als 20 Monaten fremdplatzierten vierjährigen Kindes an den in seiner Erziehungsfähigkeit deutlich eingeschränkten Kindesvater, der aktuell versucht, im Wege eines begleiteten Umgangs eine stabile Beziehung zu dem Kind aufzubauen).
Normenkette
BGB § 1626a Abs. 1, 3, §§ 1666, 1680 Abs. 2-3
Verfahrensgang
AG Bremerhaven (Aktenzeichen 151 F 236/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremerhaven vom 28.5.2020 sowie sein Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kindesvater.
Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der am [...] 2016 geborene X stammt aus einer beendeten nichtehelichen Beziehung der Kindeseltern. Diese haben zu keiner Zeit gemeinsam mit ihrem Kind zusammengelebt. Vielmehr befand sich die Kindesmutter mit X ab Oktober 2016 zunächst in einer Mutter-Kind-Einrichtung, durch die sie nach einem Mitte 2018 erfolgten Wechsel mit dem Kind in einen eigenen Haushalt weiterhin ambulant betreut wurde. Nachdem die Betreuungskräfte das Kindeswohl für gefährdet hielten, weil die Kindesmutter unter anderem ihr seitens der betreuenden Einrichtung erteilte Auflagen nicht einhielt, entzog das Familiengericht der allein sorgeberechtigten Kindesmutter auf Antrag des Jugendamts mit Beschluss vom 28.2.2019 (Gesch.-Nr. 151 F 264/19) im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig die elterliche Sorge für X und übertrug sie dem Jugendamt Bremerhaven als Vormund. Das Kind ist seit seiner am [...] 2019 erfolgten Inobhutnahme fremdplatziert.
Im vorliegenden Verfahren hat das Familiengericht nach Einholung eines schriftlichen familienpsychologischen Gutachtens der "Sachverständigen für Familienrecht" [...] vom 31.10.2019 der Kindesmutter, die sich mit Schriftsatz vom 12.02.2020 mit einer Fortdauer der Fremdplatzierung des Kindes einverstanden erklärt hat, mit Beschluss vom 28.5.2020 sodann auch im Wege der Hauptsacheentscheidung die elterliche Sorge für X entzogen und sie dem Jugendamt [...] als Vormund übertragen. Dabei hat es zugleich die Möglichkeit einer Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater, der aus einer anderen Beziehung vier weitere - allesamt fremdplatzierte - Kinder hat, unter Hinweis auf bei diesem bestehende, unter anderem von der Sachverständigen [...] festgestellte Defizite in der Erziehungsfähigkeit verneint.
Gegen diese von der Kindesmutter nicht angefochtene Entscheidung, die ihm am 8.6.2020 zugestellt worden ist, wendet sich der Kindesvater mit seiner am 11.6.2020 beim Familiengericht eingelegten Beschwerde. Mit Schriftsatz vom 10.7.2020 beantragt er - neben der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren -, ihm die elterliche Sorge für X zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Zur Begründung seines Rechtsmittels macht er in diesem Schriftsatz im Wesentlichen geltend, die Sachverständige habe bei ihren Feststellungen nicht berücksichtigt, dass er bereits seit einem Jahr mit seiner Lebensgefährtin und deren Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Dies funktioniere sehr gut. Er und seine Lebensgefährtin kümmerten sich gleichermaßen um die Erziehung dieses Kindes. Ihm gleichwohl die notwendige Erziehungseignung abzusprechen, werde den gegebenen Tatsachen nicht gerecht. Vielmehr zeige sich daran, dass er sich in seiner Erziehungsfähigkeit deutlich gebessert habe und den starken Willen zeige, sein Leben im Griff zu haben und sich um seine Kinder kümmern zu können. Die aktuell von ihm und seiner jetzigen Partnerin bewohnte Wohnung sei groß genug für ein weiteres Kind. Außerdem sei seine Partnerin in der Lage, sich ebenfalls um das Kind zu kümmern und ihn in seinen Aufgaben zu unterstützen. Er sei zunehmend lernwillig und wissbegierig im Hinblick auf die Erziehung des Kindes und den Schutz des Kindes vor Gefahren. Die ihm von der Sachverständigen zugeschriebenen Defizite im Bereich der Empathie und Feinfühligkeit würden durch seine Partnerin ausgeglichen. Darüber hinaus sehe er sich auch in der Lage, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Dies könne etwa durch Installation einer Familienhilfe geschehen. Frühere familiengerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit seinen weiteren Kindern könnten nicht als Hauptbegründung dafür dienen, ihm die elterliche Sorge für X zu verweh...