Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen des Verteidigerwechsels auf Antrag des Angeklagten. Strafprozessrecht. Verteidigerwechsel. wichtiger Grund. Grundgebühr. Auslagenersatz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Verteidigerwechsel auf Antrag des Angeklagten kann auch zwischen den Instanzen ohne wichtigen Grund nur erfolgen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist, die Beiordnung des neuen Verteidigers keine Verfahrensverzögerung zur Folge hat und die entstehenden Mehrkosten vom Angeklagten als Vorschuss gezahlt werden.

2. Wird die Bestellung des bisherigen Verteidigers aufgehoben und ein anderer Verteidiger beigeordnet, so entstehen die Ansprüche auf die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG und den Auslagenersatz gem. Nrn. 7000 ff VV RVG auch für den neu bestellten Verteidiger. Ein Verzicht des Verteidigers auf diese Ansprüche ist gem. § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO nicht zulässig.

 

Normenkette

StPO § 142 Abs. 1, § 143; VV-RVG Nrn. 4000, 7000 ff.

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Entscheidung vom 19.10.2012; Aktenzeichen 63 Ns 730 Js 1811/11)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Bremen vom 19.10.2012 wird auf seine Kosten als unbegründet zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Dem Angeklagten wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Bremerhaven vom 01.03.2012 Rechtsanwalt Dr. S. als Verteidiger beigeordnet. Das Amtsgericht Bremerhaven hat ihn durch Urteil vom 21.02.2012 wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 26.03.2012 legte der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. S., gegen das Urteil Berufung ein. Das Landgericht setzte die Berufungsverhandlung für den 01.11.2012 an. Mit Schriftsatz vom 23.08.2012 teilte Rechtsanwalt Dr. S. ohnen Nennung von Gründen mit, dass der den Angeklagten nicht mehr vertrete. Mit Schriftsatz vom 24.09.2012 teilte Rechtsanwalt B. dem Gericht unter Vorlage einer Vollmacht mit, dass ihn der Angeklagte mit seiner weiteren Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt habe. Er beantragte ferner, den Termin vom 01.11.2012 zu verlegen und ihn dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Mit Beschluss vom 19.10.2012 lehnte das Landgericht den Antrag des Angeklagten ab, ihm Rechtsanwalt B. als notwendigen Verteidiger für das Berufungsverfahren beizuordnen und Rechtsanwalt Dr. S. zu entschlagen. Das Landgericht begründete seinen Beschluss damit, dass Anhaltspunkte für eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger Rechtsanwalt Dr. S. weder dargetan, noch ersichtlich seien. Hinzu komme, dass Rechtsanwalt B. weder Kostenneutralität zugesichert noch erklärt habe, dass es zu keiner Verfahrensverzögerung durch den Verteidigerwechsel kommen werde.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schriftsatz des Rechtsanwalts B. vom 31.10.2012 Beschwerde eingelegt. In dieser teilte der Rechtsanwalt mit, ihm sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht bekannt gewesen, dass Rechtsanwalt Dr. S. dem Angeklagten bereits zum Pflichtverteidiger bestellt worden war. Er erklärte ferner seine Zustimmung zur kostenneutralen Beiordnung. Darüber hinaus sei das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt Dr. S. gestört.

Das Gericht hat den Termin zur Berufungsverhandlung aufgehoben und die Akte dem Senat zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 09.11.2012 beantragt, den Beschluss des Landgerichts Bremen vom 19.10.2012 aufzuheben, Rechtsanwalt Dr. S. zu entpflichten und Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

II.

Die zulässige Beschwerde erweist sich als unbegründet.

Die Zurücknahme der Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers und die Beiordnung eines neuen Verteidigers kommt grundsätzlich nur ausnahmsweise bei Vorliegen wichtiger Gründe in Betracht. Ein solcher wichtiger Grund liegt insbesondere dann vor, wenn zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten eine ernsthafte und unüberbrückbare Störung des Vertrauensverhältnisses eingetreten ist (vgl. OLG Naumburg; Beschluss vom 14.04.2012, Az.: 2 Ws 52/10; OLG Bamberg, NJW 2006, 1536; OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 2005, 31; KG, NStZ 1993, 201; Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, 2012, § 143, Rn. 5). Die Umstände, die eine solche ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses begründen, sind vom Angeklagten darzulegen und glaubhaft zu machen bzw. müssen sonst ersichtlich sein (vgl. OLG Köln, StraFo 2008, 348; OLG Frankfurt, StV 2005, 76; KG, NStZ 1993, 201).

Mit Blick auf diese Anforderungen sind vom Angeklagten keine konkreten Umstände vorgetragen worden, aus denen sich ergibt, dass zwischen Rechtsanwalt Dr. S. und dem Angeklagten eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, die besorgen lässt, dass die Verteidigung nicht mehr sachgerecht von Rechtsanwalt Dr. S. geführt werden kann. Allein die Behauptung des Rechtsanwalt...

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