Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum für die Verwirkung erforderlichen Zeitmoment bei titulierten Kindesunterhaltsansprüchen
Leitsatz (amtlich)
1. Dass das Verstreichenlassen einer Frist von mehr als einem Jahr für die Bejahung des für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen Zeitmoments ausreichen kann, bedeutet - insbesondere bei titulierten Kindesunterhaltsansprüchen - keinen Automatismus dahingehend, dass stets schon nach Ablauf eines Jahres das Zeitmoment erfüllt ist.
2. Wenn es um titulierte Kindesunterhaltsansprüche geht, sind an die Erfüllung des für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen Umstandsmoments strenge Maßstäbe anzulegen.
3. Der Schuldner kann grundsätzlich weder davon ausgehen, dass er mit seinen Zahlungen an die Unterhaltsvorschusskasse in Höhe der dem Gläubiger erbrachten UVG-Leistungen einen darüberhinausgehenden titulierten Unterhaltsanspruch des Gläubigers erfüllt, noch davon, dass der Gläubiger schon deshalb seinen titulierten Unterhaltsanspruch bzw. die Differenz zwischen diesem und den UVG-Leistungen nicht mehr geltend machen werde, weil er insoweit über einen Zeitraum von weniger als zweieinhalb Jahren schlicht untätig geblieben ist, schon gar nicht, wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber zuvor eine angespannte finanzielle Situation behauptet und in Aussicht gestellt hat, nach deren Besserung seiner Zahlungspflicht nachzukommen.
Normenkette
BGB §§ 242, 1601-1603
Verfahrensgang
AG Bremen (Aktenzeichen 58 F 2209/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers und die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners wird der Teil-Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen vom 1.3.2023 im Tenor zu Ziffer 2) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Auf den Widerantrag des Antragsgegners wird der Antragsteller verpflichtet, an den Antragsgegner Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf rückständigen Unterhalt wie folgt zu zahlen:
- auf 379,00 EUR ab 01.05.2019
- auf 379,00 EUR ab 01.06.2019
- auf 374,00 EUR ab 01.07.2019
- auf 374,00 EUR ab 01.08.2019
- auf 374,00 EUR ab 01.09.2019
- auf 92,00 EUR ab 01.10.2019
- auf 92,00 EUR ab 01.11.2019
- auf 92,00 EUR ab 01.12.2019
- auf 102,00 EUR ab 01.01.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.02.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.03.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.04.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.05.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.06.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.07.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.08.2020
- auf 102,00 EUR ab 01.09.2020.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller zu ¾ und der Antragsgegner zu ¼, wobei Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren nur nach einem Verfahrenswert von 3.760 EUR erhoben werden.
Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.536 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über rückständigen titulierten Kindesunterhalt.
Der am [...] 2002 geborene Antragsgegner ist der Sohn des von dessen Mutter seit 2007 rechtskräftig geschiedenen Antragstellers. Mit Scheidungsverbundurteil des Amtsgerichts Familiengericht - Bremen vom 13.11.2007 zur Geschäftsnummer [...] ist der Antragsteller aufgrund eines Anerkenntnisses verurteilt worden, an die Kindesmutter monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 121% des jeweiligen Regelbetrags gem. § 1 Regelbetragsverordnung für alle Altersstufen abzüglich anzurechnenden Kindergeldanteils für den Antragsgegner zu zahlen. Der Unterhaltstitel ist nach Eintritt der Volljährigkeit des Antragsgegners auf diesen als Rechtsnachfolger seiner Mutter umgeschrieben worden.
Bis einschließlich April 2019 zahlte der Antragsteller den titulierten Kindesunterhalt. Danach leistete er keine Zahlungen mehr an den Antragsgegner bzw. dessen Mutter. Ab Oktober 2019 bis zu seiner Volljährigkeit erhielt der Antragsgegner Leistungen der Unterhaltsvorschusskasse in den titulierten Unterhalt unterschreitender Höhe. Zwischen September 2019 und Oktober 2020 fand vereinzelte E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Antragsteller und der Mutter des Antragsgegners über den von jenem für diesen zu zahlenden Kindesunterhalt statt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.9.2021 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, rückständigen Kindesunterhalt in Höhe der Differenz zwischen dem titulierten Unterhalt und den Unterhaltsvorschussleistungen für die Zeit von Mai 2019 bis einschließlich Oktober 2020 in Höhe von insgesamt 3.176 EUR sowie laufenden Unterhalt ab November 2020 an ihn zu zahlen. Mit Gerichtsvollzieherschreiben vom 26.9.2022 wurde dem Antragsteller die Vollstreckung wegen einer Gesamtforderung von ca. 3.360 EUR aus dem Unterhaltstitel angekündigt.
Mit seinem am 14.7.2022 beim Familiengericht eingereichten Antrag hat sich der Antragsteller auf Verwirkung des vom Antragsgegner geltend gemachten Unterhaltsanspruchs berufen.
Er hat beantragt,
1. die Zwangsvollstreckung aus Ziffer 3. des Urteils des Amtsgerichts Bremen vom 13.11.2007 zum Aktenzeichen: [...] für unzulässig zu erklären, soweit der Antragsgegner einen rückständigen Unterhalt von 3.360,00 EUR vollstreckt,
2. die Zw...