Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Anscheinsbeweis bei der Verwendung von Zahlungskarten mit PIN sowie zur Pflicht zur Sperranzeige nach Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte)
Leitsatz (amtlich)
1. Wurden bei Abhebungen mit einer Zahlungskarte an einem Automaten die Originalkarte und die PIN verwendet, dann ist ein Beweis des ersten Anscheins verfügbar, dass die Zahlung entweder vom berechtigten Karteninhaber selbst vorgenommen wurde oder dass er, wenn die Karte von einem Dritten unberechtigt genutzt wurde, diesem pflichtwidrig eine Kenntniserlangung von der PIN ermöglicht hat, insbesondere durch eine grob fahrlässig erfolgende gemeinsame Aufbewahrung der Karte mit einer Notiz der PIN. An diesen Grundsätzen ist auch unter der Geltung der Regelungen in § 675w S. 3 BGB sowie § 675w S. 4 BGB festzuhalten.
2. Die Grundsätze zur Verfügbarkeit eines Anscheinsbeweises für das Vorliegen eines Obliegenheitsverstoßes des Zahlungsdienstnutzers bei unautorisierter Nutzung von Zahlungskarten finden keine Anwendung beim Einsatz von Kreditkarten im Präsenzgeschäft ohne Verwendung einer PIN.
3. Die Begründung einer Pflicht eines Zahlungsdienstnutzers zur Abgabe einer Sperranzeige nach Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) bei Vorliegen eines bloßen Verdachts, dass eine nicht autorisierte Nutzung von Debitkarte oder PIN vorliegt, ist als unzulässige Abweichung zu Lasten des Zahlungsdienstnutzers von der gesetzlichen Regel des § 675l Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.
4. Die Schadensersatzhaftung des Kunden wegen der Verletzung von Obliegenheiten nach Nr. 20 Abs. 1 AGB-Sparkassen, insbesondere zur Mitteilung des Nichterhalts von Rechnungsabschlüssen, kann keinen Schadensersatzanspruch gegen den Zahlungsdienstnutzer wegen einer lediglich einfach fahrlässigen Ermöglichung nicht autorisierter Zahlungsvorgänge begründen.
Normenkette
BGB § 675d Abs. 6, § 675e Abs. 2, § 675j Abs. 1 S. 1, § 675l Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 675u S. 2, § 675v Abs. 3, § 675w Sätze 1, 4, 4, § 676c Nr. 1; ZPO § 440 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 4 O 860/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Landgerichts Bremen vom 18.12.2020 in der Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 19.01.2021 abgeändert und der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung bewilligt und Rechtsanwältin ... beigeordnet.
Verbessern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin wesentlich oder ändert sich die Anschrift, ist dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen. Das Gericht soll bei wesentlicher Änderung der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nachträglich die Zahlung der Kosten oder Ratenzahlungen anordnen (§ 120a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 ZPO).
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin auf Zahlung eines Betrags von EUR 16.452,35, um den die Antragsgegnerin das bei ihr geführte Konto der Antragstellerin für Geldabhebungen mit Zahlungskarten belastet hat, wobei diese Abhebungen nach den Behauptungen der Antragstellerin nicht von ihr autorisiert waren.
Die Antragstellerin unterhielt im streitgegenständlichen Zeitraum der Jahre 2016 bis 2019 ein Zahlungskonto bei der Antragsgegnerin, wobei der Kontoführung die AGB der Antragsgegnerin zugrunde lagen, die in den hier maßgeblichen Passagen den AGB-Sparkassen entsprechen. Zu Lasten dieses Zahlungskontos wurden durch mehrere Zahlungsvorgänge im Zeitraum vom 25.07.2016 bis zum 15.08.2016 insgesamt EUR 822,08 unter Vorlage einer Kreditkarte gegen Unterschrift eines Auszahlungsbelegs in einer Bankfiliale in der Dominikanischen Republik abgehoben, wo auch die Antragstellerin lebt, sowie im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 in teils kurzer zeitlicher Folge insgesamt EUR 15.720,27 mit einer Zahlungskarte und PIN an Geldautomaten ebenfalls in der Dominikanischen Republik. Im letztgenannten Zeitraum erfolgten daneben auch autorisierte Abhebungen mit der Debitkarte der Antragstellerin. Unstreitig hatte sich ein Bevollmächtigter der Antragstellerin Ende Dezember 2018 an die Antragsgegnerin gewandt, weil mit der Debitkarte der Antragstellerin eine Geldabhebung nicht möglich war. Die Abhebungsbeträge wurden von der Antragsgegnerin zu Lasten des Zahlungskontos der Antragstellerin belastet. Die Antragstellerin reklamierte diese Abbuchungen am 22.09.2016 bzw. 30.04.2019 gegenüber der Antragsgegnerin, die eine Rückerstattung jeweils verweigerte. Ob die Antragstellerin im Zeitraum der streitgegenständlichen Abbuchungen Kontoauszüge nebst Rechnungsabschlüssen von der Antragsgegnerin in Papierform zugesandt erhielt, ist zwischen den Parteien streitig. Ein Zugang zum Online-Banking war für das Konto der Antragstellerin nur für deren Kontobevollmächtigte eingerichtet; die Bereitstellung von Kontoauszügen durch elektronische Dokumente war nicht vereinbart.
Die Antragstellerin behauptet,...