Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Abberufung und Neubestellung eines Verteidigers und den möglichen Folgen für die Kostentragung. Strafprozessrecht. Pflichtverteidiger. Abberufung. Interessenskonflikt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Erhebung einer zivilrechtlichen Klage gegen den Pflichtverteidiger oder die Erstattung einer Strafanzeige wegen Parteiverrats durch den Angeklagten ergeben für sich noch keine wichtigen Gründe für eine Abberufung.

2. Die Abberufung eines Pflichtverteidigers kann nur ex nunc mit Wirkung für die Zukunft erfolgen.

3. Kommt es wegen des Interessenkonfliktes bei der Verteidigung von mehreren Mitangeklagten durch Rechtsanwälte derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung oder einer darauf beruhenden erfolgreichen Revision, ist die Belastung der Verteidiger mit den Kosten in entsprechender Anwendung des § 145 Abs. 4 StPO zu prüfen.

 

Normenkette

StPO §§ 143, 145-146, 146a

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Entscheidung vom 23.07.2018; Aktenzeichen 32 KLs 750 Js 900045/15)

 

Tenor

1. Die Beschwerden des Angeklagten [III.] (1 Ws 90/18) vom 29.07.2018 und des Angeklagten [V.] (1 Ws 91/18) vom 30.07.2018 gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer 32 des Landgerichts Bremen vom 23.07.2018 werden als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Beschwerden des Angeklagten [V.] gegen die Verfügungen der Vorsitzenden der Strafkammer 32 vom 31.10.2016 und 07.02.2017, mit denen der Angeklagten [IV.] Rechtsanwältin F (1 Ws 59/18), dem Angeklagten [III.] Rechtsanwalt D (1 Ws 92/18) und dem Angeklagten [II.] Rechtsanwalt [C] (1 Ws 93/18) als Verteidiger bestellt wurden, werden als unbegründet zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Vor dem Landgericht Bremen wird gegen die Angeklagten [I.-V.] aufgrund der Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen vom 27.06.2016 ein Strafverfahren mit dem Kernvorwurf der Bestechlichkeit/Bestechung im geschäftlichen Verkehr und der Beihilfe hierzu geführt. Der Tatvorwurf gegen die Angeklagten ist für die Zwecke dieser Entscheidung wie folgt zusammenzufassen: Insgesamt soll in der Zeit von Oktober 2010 bis Dezember 2015 Bestechungsgeld in Höhe von 9,5 Millionen Euro durch den Angeklagten [I.] in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Firma X gezahlt worden sein (Anklagevorwurf Bestechung im geschäftlichen Verkehr). Dem Angeklagten [V.], zur Zeit der Taten "Senior Purchaser Raw Material Fillers" bei der Y AG, wird der täterschaftliche Abschluss der Unrechtsvereinbarung und die Umsetzung dieser Vereinbarung im Wege der Informationsweitergabe vorgeworfen (Anklagevorwurf Bestechlichkeit, Steuerhinterziehung). Die Angeklagten [II.] und [IV.] sollen die Unternehmen geführt haben, deren Aufgabe es gewesen sein soll, einerseits die Kommunikation zwischen dem Angeklagten [V.] und dem Angeklagten [I.] zu vermitteln und andererseits unter der Firma einer eigens gegründeten Unternehmensberatung Rechnungen zu stellen, um auf diese Weise Bestechungsgelder einzunehmen und diese an die diversen weiteren Unternehmen weiterzuleiten, die die Angeklagten gegründet haben sollen. Dem Angeklagten [III.] wird angelastet, dass er anfangs den Kontakt zwischen dem Angeklagten [V.] und dem Angeklagten [II.] hergestellt und im späteren Verlauf eine Scheinfirma gegründet haben soll, die in die Verwaltung der vereinnahmten Beträge involviert gewesen sein soll. Die Angeklagten [II.], [IV.] und [III.] sind als Gehilfen der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und der Steuerhinterziehung des Angeklagten [V.] bzw. der Geldwäsche und der Begünstigung angeklagt.

Der Angeklagte [I.] wurde aufgrund eines in dieser Sache ergangenen Haftbefehls des Amtsgerichts Bremen vom 16.02.2016 am selben Tag festgenommen und befand sich nachfolgend in Untersuchungshaft, bis er mit Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 22.04.2016 vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont wurde. Die Angeklagten [II.] und [IV.] wurden aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Bremen vom 26.04.2016 am 28.04.2016 festgenommen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 28.04.2016 wurden sie vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Mit Beschluss des Landgerichts Bremen vom 15.02.2018 wurden die Haftbefehle gegen die Angeklagten [II.] und [IV.] aufgehoben. Der Angeklagte [V.] wurde aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Bremen vom 16.02.2016 am selben Tag festgenommen und befand sich sodann in Untersuchungshaft. Von dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft wurde er durch Beschluss des Landgerichts Bremen vom 20.02.2017 verschont. Gegen den Angeklagten [III.] ist kein Haftbefehl erlassen worden.

Mit Schreiben vom 09.12.2015 und Vorlage einer Vollmacht vom 08.12.2015 zeigte Rechtsanwalt G gegenüber der Polizei Bremen an, dass er die Verteidigung des Beschuldigten [V.] übernommen habe. Am 11.12.2015 erklärte Rechtsanwalt D unter Vorlage einer Vollmacht vom 10.12.2015 gegenüber der Staatsanwaltschaft, dass er die Verteidigung des Angeklagten [III.] übernommen habe. Am gleichen Tag erklärte Rechtsanwalt K, dass er die Verteid...

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