Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit einer Anhörung im Wege der Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 463e Abs. 1 S. 3 StPO bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Strafprozessrecht. Strafvollstreckung. Maßregelvollstreckung. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. mündliche Anhörung. Anhörung im Wege der Bild- und Tonübertragung
Leitsatz (amtlich)
1. In Fällen der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist mit der Neuregelung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO seit dem 01.07.2021 die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Der Ausschluss der Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz nach § 463e Abs. 1 S. 3 StPO gilt auch dann, wenn der Untergebrachte dieser Form der Anhörung zugestimmt hat.
3. Die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz kann ungeachtet des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO auch in den dort geregelten Fällen im Interesse bestmöglicher Sachaufklärung ausnahmsweise dann zulässig bleiben, wenn eine Anhörung in persönlicher Anwesenheit des Untergebrachten nicht erfolgen kann, stattdessen aber zumindest eine Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik möglich ist. Eine solche Ausnahme kann aber nicht bereits mit Erwägungen des Infektionsschutzes in Pandemiezeiten, mit der Vermeidung von Flucht- und sonstigen Sicherheitsrisiken für den Fall einer persönlichen Anhörung oder mit dem Ziel einer effizienteren Verfahrensgestaltung begründet werden.
4. Die Neuregelung des § 463e StPO ändert nichts daran, dass weiterhin in Ausnahmefällen auch bei Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik eine Anhörung durch den beauftragten Richter zulässig sein kann.
Normenkette
StPO § 454 Abs. 1 S. 3, § 463 Abs. 3 S. 1, § 463e Abs. 1 Sätze 1, 3; StGB § 67d Abs. 2, § 67e
Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 15.02.2022; Aktenzeichen 70 StVK 10/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten vom 24.02.2022 wird der Beschluss der Strafkammer 70 (Große Strafvollstreckungskammer) des Landgerichts Bremen vom 15.02.2022 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafkammer 70 des Landgerichts Bremen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 12.06.2015, rechtskräftig seit dem 20.06.2015, ordnete das Landgericht Bremen im Wege des Sicherungsverfahrens die Unterbringung des Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Nach den Urteilsfeststellungen stach der Untergebrachte am 19.11.2014 in einer Obdachlosenunterkunft in Bremen mit Tötungsvorsatz mit einem Küchenmesser mindestens fünf Mal auf den Oberkörper sowie Bauch seines Zimmermitbewohners ein, wodurch dieser lebensbedrohliche Verletzungen davontrug, sodass der Untergebrachte durch sein Handeln den Tatbestand des versuchten Totschlages in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verwirklichte. Die Kammer stellte auf der Grundlage einer Begutachtung des Untergebrachten durch die Sachverständige A. fest, dass der Untergebrachte zum Tatzeitpunkt an hochakuten produktiv psychotischen Symptomen einer paranoiden Schizophrenie litt und seine Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat nicht ausschließbar aufgehoben war. Der Untergebrachte befindet sich seither seit dem 29.01.2015 im Klinikum Bremen-Ost, zunächst in vorläufiger Unterbringung und seit der Rechtskraft des Urteils vom 12.06.2015 sodann in der Unterbringung nach § 63 StGB, die im Zeitraum vom 20.05.2015 bis zum 12.04.2016 wegen des Vollzugs einer in einem anderen Verfahren angeordneten Unterbringung nach § 64 StGB unterbrochen wurde.
Der Untergebrachte wurde am 16.01.2021 im Hinblick auf eine Entscheidung nach § 67e StGB angehört und es wurde im Rahmen dieser Anhörung die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Gefährlichkeit des Untergebrachten für den Fall seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug in Auftrag gegeben; der von der Kammer bestellte Sachverständige B. erstattete sein schriftliches Gutachten unter dem 20.08.2021 und führte darin aus, dass es bei einer Entlassung des Untergebrachten zum derzeitigen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder zu einem wahnhaften psychotischen Zustand kommen werde und dass schwere Körperverletzungsdelikte zu erwarten wären. Der Sachverständige sah eine Vollzugsaussetzung zum derzeitigen Zeitpunkt als verfrüht an. Der Untergebrachte wurde daraufhin am 26.10.2021 durch die Strafkammer 70 (Große Strafvollstreckungskammer) des Landgerichts Bremen in der Besetzung mit drei Richtern (Vorsitzender Richter am Landgericht C., Richter am Landgericht D., Richterin E.) sowie im Beisein seiner Verfahrensbevollmächtigten angehört; der Sachverständige, auf dessen Anhörung der Untergebrachte nicht verzichtet hatte, wurde zu dem Anhörungstermin per Videokonferenz hinzugeschaltet. Im Hinblick auf ein neues gegen den Untergebrachten anhängiges Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfes d...