Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozess-/Verfahrenskostenzuschuss: Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Ehepartners
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der im Rahmen eines Prozess-/Verfahrenskostenhilfeverfahrens vorzunehmenden Prüfung, ob der Antragsteller von seinem Ehepartner gem. § 1360a Abs. 4 S. 1 BGB einen Prozess-/Verfahrenskostenvorschuss verlangen kann, ist dessen Leistungsfähigkeit nicht gem. § 115 Abs. 1 und 2 ZPO, sondern nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu beurteilen.
2. Der auf Leistung eines Prozess-/Verfahrenskostenvorschusses in Anspruch genommene Ehepartner kann sich auf den eheangemessenen Selbstbehalt berufen.
Normenkette
BGB § 1360 Abs. 4 S. 1; ZPO § 115 Abs. 1, § 155 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Bremerhaven (Aktenzeichen 151 F 271/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremerhaven vom 24.7.2020 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Kindesmutter wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt [...] bewilligt.
Gründe
Die gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Zu Unrecht hat das Amtsgericht angenommen, die Antragstellerin sei nicht bedürftig im Sinne des § 115 ZPO, weil sie gegen ihren Ehemann einen Anspruch auf Leistung eines Verfahrenskostenvorschusses habe.
§ 1360a Abs. 4 S. 1 BGB sieht vor, dass für den Fall, dass ein Ehegatte nicht in der Lage ist, die Kosten eines Rechtsstreits zu tragen, der eine persönliche Angelegenheit betrifft, der andere Ehegatte verpflichtet ist, ihm diese Kosten vorzuschießen, soweit dies der Billigkeit entspricht.
Im Ansatz zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass die hier vorliegende Kindschaftssache einen Rechtsstreit in einer persönlichen Angelegenheit in diesem Sinne darstellt (Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe Beratungshilfe, 9. Auflage, Rn. 440).
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts entspricht eine Verpflichtung des Ehemannes der Kindesmutter zur Leistung eines Verfahrenskostenvorschusses aber nicht der Billigkeit, weil er insofern nicht leistungsfähig ist. Da es sich bei dem Anspruch auf Leistung eines Verfahrenskostenvorschusses aufgrund seiner systematischen Stellung um einen unterhaltsrechtlichen Anspruch handelt, richtet sich die Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht nach § 115 ZPO, sondern nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben (OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 992 Rn. 4; Palandt/Brudermüller, BGB, 79. Auflage, § 1360a Rn. 12). Das Amtsgericht hat der angefochtenen Entscheidung eine an § 115 Abs. 1 und 2 ZPO orientierte Berechnung des verfahrenskostenhilferechtlich einzusetzenden Einkommens des Ehemannes der Kindesmutter beigefügt und ist zu einem einzusetzenden Einkommen von 570,88 EUR gelangt. Mit einer derartigen Berechnung kann jedoch die Leistungsfähigkeit im Hinblick auf einen in Raten zu leistenden Verfahrenskostenvorschuss nur in den Fällen ermittelt werden, in denen Eltern ihren minderjährigen Kindern einen Verfahrenskostenvorschuss schulden, weil § 115 Abs. 1 und 2 ZPO regelmäßig den sogenannten notwendigen Selbstbehalt, der derzeit ausweislich Ziff. 21.2 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (LL) bei 1.160 EUR beträgt, wahrt (BGH, FamRZ 2004, 1633 Rn. 14). Der notwendige Selbstbehalt ist aber nur im Verhältnis zwischen Eltern und ihren minderjährigen bzw. nach § 1603 Abs. 2 BGB privilegierten Kindern anzuwenden. Wird ein Ehepartner von dem anderen Ehepartner auf Leistung eines Verfahrenskostenvorschusses in Anspruch genommen, kann er sich hingegen auf den höheren eheangemessenen Selbstbehalt berufen, der ausweislich Ziff. 21.4 LL derzeit bei 1.280 EUR liegt (BGH, a.a.O., Grandel/Breuers in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1360a BGB Rn. 51). Ob eine Vorschusspflicht im Sinne des § 1360a Abs. 4 S. 1 BGB besteht, ist daher im vorliegenden Fall nicht anhand von § 115 ZPO, sondern unterhaltsrechtlich zu ermitteln.
Der Ehemann der Kindesmutter verfügt ausweislich der vorgelegten Gehaltsabrechnung für den Monat Juli 2020 im Schnitt über ein Nettoeinkommen von etwa 2.500 EUR. Zuzüglich anteiliger Steuererstattung (2.800 EUR/12) beträgt das Monatseinkommen etwa 2.750 EUR. Abzuziehen sind die monatliche Kreditbelastung i.H.v. 700 EUR und die Zahlbeträge für den Unterhalt der drei im Haushalt lebenden Kinder i.H.v. 395 EUR, 267 EUR und 267 EUR, sodass mit 1.121 EUR nur ein Betrag unterhalb des eheangemessenen Selbstbehalts verbleibt.
Im Übrigen ist bei der Frage der Billigkeit der Inanspruchnahme des Ehemannes der Kindesmutter auf Leistung eines Verfahrenskostenvorschusses zu berücksichtigen, dass dieser mit seinem Einkommen auch den Lebensunterhalt seiner Stieftochter sicherstellen muss, weil deren leiblicher Vater unstreitig keinen Kindesunterhalt leistet.
Fundstellen
FuR 2021, 155 |
FamRB 2021, 183 |