Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes vor Bestellung eines Ergänzungspflegers wegen strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Eltern
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn das als Zeuge zu befragende Kinde des einer Straftat beschuldigten sorgeberechtigten Elternteils aussagebereit ist, aber nicht die nötige Verstandesreife i.S.d. § 52 Abs. 2 S. 1 StPO besitzt, bedarf es der Bestellung eines Ergänzungspflegers.
2. Diese Voraussetzungen für eine Ergänzungspflegerbestellung, also fehlende Verstandesreife und Aussagebereitschaft des Kindes, sind grundsätzlich im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft zu klären.
3. Eine weitere Aufklärung der Aussagebereitschaft des Kindes ist nicht nötig, wenn die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft versucht hat, Kontakt mit dem Minderjährigen aufzunehmen, um seine Aussagebereitschaft festzustellen, die Eltern bzw. ein Elternteil aber eine Kontaktaufnahme mit dem Kind verhindert haben.
Normenkette
BGB § 1629 Abs. 2, § 1909; StPO § 52; FamFG §§ 58, 158
Verfahrensgang
AG Bremen-Blumenthal (Beschluss vom 24.06.2016; Aktenzeichen 75 F 647/16) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Bremen vom 24.6.2016 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Worte "und Untersuchungen" am Ende von Ziff. 3. des Beschlusstenors ersatzlos entfallen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten jeweils selbst.
3. Der Kindesmutter wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin [...], Bremen, bewilligt.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. In dem vorliegenden Beschwerdeverfahren wendet sich die Kindesmutter gegen die Bestellung eines Ergänzungspflegers für zwei ihrer sechs minderjährigen Kinder, die 11-jährige B. und den 10-jährigen A..
Sowohl die Kindesmutter als auch ihr Lebensgefährte werden verdächtigt, gegen die mit ihnen zusammenlebenden sechs minderjährigen Kinder der Kindesmutter körperliche Gewalt ausgeübt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Bremen führt daher gegen sie und ihren Lebensgefährten ein Ermittlungsverfahren unter dem Az. 424 Js 42831/15 wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Gemäß Verfügung vom 27.7.2015 hat die Staatsanwaltschaft Bremen beim AG - Familiengericht - Bremen-Blumenthal beantragt, in dem Ermittlungsverfahren gegen die Kindesmutter gemäß § 1909 BGB einen Ergänzungspfleger zum Schutz ihrer sechs minderjährigen Kinder und deren sämtlicher Rechte aus dem Verfahren zu bestellen. Der antragsgemäß am 7.9.2015 ergangene Beschluss des AG Bremen-Blumenthal ist auf die Beschwerde der Kindesmutter durch Beschluss des Senats vom 16.2.2016 (Az.: 4 UF 174/15) aufgehoben und der auf Bestellung eines Ergänzungspflegers gerichtete Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen worden.
Mit Verfügung vom 2.3.2016 hat die zuständige Staatsanwältin die Polizei u.a. beauftragt, die Kinder A. und B. über die Kindesmutter zu laden und sie nach Belehrung gemäß § 52 StPO zu fragen, ob sie aussagen möchten. Sollten sie noch nicht die erforderliche Verstandesreife haben, solle dies in einem Vermerk dokumentiert werden. Am 31.3.2016 ist von dem Kriminalkommissar X. vermerkt worden, dass die Kindesmutter aufgesucht worden sei und die Zustimmung zu einer Anhörung von A. und B. verweigert habe. Die Aussagebereitschaft und nötige Verstandesreife könne aufgrund der "Abschirmung" durch die Kindesmutter nicht geklärt werden (Bl. 43d. beiStA-Ermittlungsakte zu Az. 424 Js 42831/15).
Am 23.5.2016 hat die Staatsanwaltschaft Bremen beim AG - Familiengericht - Bremen-Blumenthal unter Hinweis u.a. auf den polizeilichen Vermerk vom 31.3.2016 die Bestellung eines Ergänzungspflegers für A. und B. beantragt. Das AG - Familiengericht - Bremen-Blumenthal hat nach schriftlicher Anhörung der Kindesmutter und des Jugendamtes mit Beschluss vom 24.6.2016 die Ergänzungspflegerbestellung vorgenommen. Es hat als Ergänzungspfleger Rechtsanwalt [...], Bremen, bestellt. Der Wirkungskreis umfasst laut Beschluss die Interessen der Kinder zu ihrem Schutz und zur Wahrnehmung ihrer Rechte im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren 424 Js 42831/15 gegen die Kindesmutter und ihren Lebensgefährten L. sowie im eventuell daraus resultierenden Strafverfahren, insbesondere für die Entgegennahme von Zeugenladungen, die Einwilligung in die Vernehmung und ein beschränktes Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zuführung zu Vernehmungen und Untersuchungen.
Gegen diesen, ihr am 15.7.2016 zugestellten Beschluss wendet sich die Kindesmutter mit ihrer am 22.7.2016 beim AG Bremen-Blumenthal eingegangenen Beschwerde. Sie beantragt, ihr Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz zu bewilligen. Zur Begründung ihrer Beschwerde führt sie aus, ihr stehe das Sorgerecht für beide Kinder gemeinsam mit dem Kindesvater, [...], zu. Ob der Kindesvater im vorliegenden Verfahren, angehört worden sei, wisse sie nich...