Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wirksamkeit und den Rechtsfolgen des Widerrufs eines Verbraucher-Darlehensvertrags zur Finanzierung eines Pkw-Erwerbs als verbundenes Geschäft
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausübung eines Widerrufsrechts in einem mit einem Kaufvertrag verbundenen Verbraucher-Darlehensvertrag ist nicht schon deswegen als rechtsmissbräuchlich anzusehen, weil der Verbraucher sich in erster Linie vom Kaufvertrag lösen möchte, für den ihm kein eigenes Widerrufsrecht zusteht, oder weil der Verbraucher den finanzierten Gegenstand ungeachtet der Erklärung des Widerrufs im verbundenen Darlehensvertrag weiternutzt.
2. Die Frage des Bestehens einer Vorleistungspflicht des Verbrauchers gegenüber seinen Ansprüchen auf Rückzahlung bis zum Widerruf erbrachter Leistungen bei der Rückabwicklung eines Verbraucher-Darlehensvertrags als verbundenem Geschäft nach den §§ 357 Abs. 4, 358 Abs. 4 S. 1 BGB bedarf keiner Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof, wenn der Rückzahlungsanspruch jedenfalls aufgrund einer Aufrechnung des Darlehensgebers mit seinem Gegenanspruch auf Ersatz für den Wertverlust der finanzierten Ware erloschen ist.
3. Die Frage des Bestehens einer Vorleistungspflicht des Verbrauchers gegenüber bereicherungsrechtlichen Ansprüchen auf Rückzahlung erst nach dem Widerruf erbrachter Leistungen bei der Rückabwicklung eines Verbraucher-Darlehensvertrags als verbundenem Geschäft nach den §§ 357 Abs. 4, 358 Abs. 4 S. 1 BGB ist allein nach nationalem Recht zu beurteilen.
4. Für eine auf das Nichtbestehen von Zins- und Tilgungszahlungsverpflichtungen aufgrund des Widerrufs eines Verbraucher-Darlehensvertrags gerichtete negative Feststellungsklage ist eine örtliche Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Darlehensnehmers begründet.
5. Ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbraucher-Darlehensnehmers besteht auch für eine Klage des Verbrauchers auf Rückzahlung seiner Leistungen auf den Darlehensvertrag, wenn der Darlehensvertrag mit einem Kaufvertrag über den Erwerb einer beweglichen Sache verbunden ist, dies für sowohl vor wie auch nach dem Widerruf erbrachte Leistungen.
Normenkette
BGB §§ 295, 355 Abs. 1-3, § 356b Abs. 2, § 357 Abs. 4, 7, § 357a Abs. 1, 3, § 357b Abs. 3, § 358 Abs. 2, 4, § 492 Abs. 2, § 495 Abs. 1; EG BGB Art. 247 § 11; EGBGB Art. 247 §§ 3, 6; ZPO § 148
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 2 O 1568/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 19.05.2022, Az. 2 O 1568/21 abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Kläger aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag vom 15.11.2019 über EUR 27.746,20 unter Anerkennung der Wertersatzpflicht weder die Zahlung der Zinsen i.H.v. 2,96 % p.a. noch die Erbringung von Tilgungsleistungen aufgrund des Widerrufs seit dem 23.02.2021 schuldet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Auf die Hilfswiderklage wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, jeden über den Betrag von EUR 9.453,00 hinausgehenden Wertverlust des ..., sowie jeden weiteren Wertverlust bis zur tatsächlichen Rückgabe des Fahrzeugs, zu ersetzen, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.
Weiter wird der Kläger auf die Hilfswiderklage verurteilt, den Pkw ..., einschließlich Fahrzeugschlüssel, Zulassungsbescheinigung Teil I und Bord/Wartungshandbuch an die Beklagte herauszugeben.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 27 %, die Beklagte zu 73 %.
III. Dieses Urteil sowie das Urteil des Landgerichts Bremen vom 19.05.2022 sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen ihn zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Gegenstandswert für die Berufung wird auf EUR 34.556,- festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrages zur Finanzierung eines Gebrauchtfahrzeugs.
Die Parteien schlossen unter dem 15.11.2019 einen Darlehensvertrag mit der Beklagten als Darlehensgeberin und dem Kläger und seiner Ehefrau als Darlehensnehmer bzw. Mitdarlehensnehmerin über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von EUR 25.103,00 (Darlehensgesamtbetrag: EUR 27.746,20) mit einem gebundenen Sollzinssatz von 2,96 Prozent p.a. (effektiver Jahreszins: 3,00 Prozent p.a.) zur Finanzierung eines Gebrauchtwagens der Marke ... mit einem Erstzulassungsdatum vom 15.06.2016 und einem Kilometerstand von 117.812 km. Die dem Kläger übergebenen fortlaufend paginierten Vertragsunterlagen enthalten neben einem Exemplar des Darlehensantrags eine "Europäische Standardinformation für Verbraucherkredite", ein Dokument "In...