Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Krankenversicherung: Anforderungen an die Erfolgsaussichten einer alternativen Behandlungsmethode für die Beurteilung ihrer medizinischen Notwendigkeit bei unheilbarer Krankheit
Leitsatz (amtlich)
Schulmedizinisch nicht etablierte alternative Behandlungsmethoden stellen jedenfalls dann eine "notwendige Heilbehandlung" im Sinne der MB/KK dar, wenn sonstige, schulmedizinisch etablierte Behandlungsmethoden zum maßgeblichen Zeitpunkt nur noch palliativen Charakter haben, während die in Rede stehende alternative Behandlung (hier: Immunbehandlung eines metastasierenden Prostatakarzinoms mit dendritischen Zellen bei unheilbarer, lebenszerstörender Krankheit des Versicherungsnehmers) zumindest noch eine medizinisch begründbare Aussicht auf einen Gewinn an Lebenszeit neben einem Gewinn an Lebensqualität sowie die Möglichkeit einer vollständigen Remission bieten (hier bejaht).
Normenkette
MB/KK 2009 § 1 Teil I Abs. 1, § 2 S. 1, § 4 Teil I Abs. 6 S. 2
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 26.12.2012; Aktenzeichen 6 O 311/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Bremen vom 26.12.2012 (6 O 311/11) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zur Kostenübernahme der Immuntherapie des verstorbenen Ehemanns der Klägerin, Herrn [ ...], mit dendritischen Zellen zur Behandlung seines Prostata-Karzinoms für zunächst vier Vakzinierungen verpflichtet ist;
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte beim Ansprechen der Therapie mit sichtbarer Verbesserung im Sinne eines Tumorregresses bei fallenden Tumormarkern verpflichtet ist, die Kostenübernahme für die Weiterführung der Therapiemaßnahme zu erklären;
3. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 2.110,11 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.03.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenversicherung die Feststellung der Kostenübernahme für eine medizinische Heilbehandlung ihres verstorbenen Ehemannes mit autologen Tumor - Antigen- geprimten dendritischen Zellen.
Die Klägerin ist die Ehefrau des zwischenzeitlich verstorbenen, an einem Prostatakarzinom im fortgeschrittenen Stadium (unter anderem mit Skelettmetastasierung) erkrankten ursprünglichen Klägers, der bei der Beklagten eine private Krankenversicherung unterhielt. Nach dessen Tod am 06.12.2013 hat sie erklärt, das Verfahren als dessen Erbin fortzusetzen. Die Erbenstellung der Klägerin ist inzwischen unstreitig.
Die dem Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und dem Ehemann der Klägerin zu Grunde liegenden Musterbedingungen (MB/KK 2009) bestimmen unter anderem:
"§ 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes
Teil I
(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Er erbringt, sofern vereinbart, damit unmittelbar zusammenhängende zusätzliche Dienstleistungen. Im Versicherungsfall erbringt der Versicherer
a) In der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen,
(...) (2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. (...) (...) § 4 Umfang der Leistungspflicht
Teil I
(...) (6) Der Versicherer leistet im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistung auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel angefallen wäre."
Vom Klinikum für angewandte Zelltherapie der Universitätsklinik S. wurde dem Ehemann der Klägerin als Behandlungsoption eine Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen (so genannter Kieler Impfstoff) angeboten. Bei dieser neuen, schulmedizinisch noch nicht etablierten und auch noch nicht vollständig erforschten Behandlungsmethode werden aus dem Blut des Patienten Monozyten entnommen, mit einer Karzinomzelllinie stimuliert und nach sechstägiger Kultivierung wieder zurückgeimpft. Ziel ist es dabei, eine Immunreaktion gegen die Tumorzellen zu induzieren und so einen Tumorregress mit fallenden Tumormarker zu bewirken.
Die vom Ehemann der Klägerin unter Vorlage eines Behandlungsplan und eines Kostenv...