Leitsatz (amtlich)

Kann wegen Überbelegung der Anstalt nicht jedem Gefangenen ein Einzelhaftraum zur Verfügung gestellt werden, hat die Justizvollzugsanstalt das ihr im Rahmen ihrer Organisationshoheit zustehende Ermessen in zwei Stufen auszuüben:

Zunächst ist zu klären, ob dem Gefangenen aus besonderen Gründen ein Einzelhaftraum zugewiesen werden kann bzw. muss. Ist dies nicht der Fall, ist zu klären, mit wie vielen und welchen Gefangenen er in einer Zelle unterbracht wird.

Bei beiden Entscheidungen hat die Justizvollzugsanstalt eine Auswahlentscheidung zu treffen, die nachvollziehbaren und mit dem StVollzG zu vereinbarenden Kriterien folgen muss. Im Rahmen dieser Ermessensbetätigung sind neben vorrangigen einzelfallbezogenen Gesichtspunkten insbesondere der Wiedereingliederung (§ 2 S. 1 StVollzG) , der Gegensteuerung (§ 3 Abs. 2 StVollzG) und der Sicherheit und Ordnung (§ 81 StVollzG) nach Auffassung des Senats auch der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Dauer der Freiheitsentziehung zu berücksichtigen.

 

Tenor

  • 1.

    Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

  • 2.

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... zurückverwiesen.

  • 3.

    Der Streitwert wird auf 100 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt aufgrund eines Urteils des Landgerichts ... vom 25. September 2001 wegen Umsatzsteuerhinterziehung in 81 Fällen und wegen versuchter Umsatzsteuerhinterziehung in 247 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, eine Gesamtfreiheitsstrafe vom 7 Jahren. Das Ende der Strafvollstreckung ist auf den 16. Juni 2008 festgesetzt, zwei Drittel der Strafe wird der Gefangene am 13. Februar 2006 verbüßt haben.

Der Antragsteller ist Nichtraucher. Er war in der Zeit vom 2. Dezember 2002 bis zu seiner Verlegung in die Einweisungsabteilung der Justizvollzugsanstalt H... am 27. März 2003 mit zwei Rauchern in einem Dreimannhaftraum untergebracht. Sein Antrag, ihn in eine Einzelzelle oder zumindest in eine Zelle mit Nichtrauchern zu verlegen, ist von der Justizvollzugsanstalt zunächst nicht und dann mit Bescheid vom 18. März 2003 negativ beschieden worden, weil aufgrund der Überbelegung kein Einzelhaftraum zur Verfügung stehe und auch ärztlicherseits keine zwingende Notwendigkeit für die Unterbringung in einem Einzelhaftraum bestehe.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller am 18. März 2003 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, den er nach seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt H... dahingehend umgestellt hat, festzustellen, dass die Unterbringung als Nichtraucher zusammen mit Rauchern in einer Gemeinschaftszelle rechtswidrig war.

Zwischenzeitlich ist der Antragsteller wieder in die Justizvollzugsanstalt S... rückverlegt worden, wo er erneut mit einem Raucher auf einer Zelle untergebracht ist.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 6. Februar 2004 zurückgewiesen. Der Antragsteller habe zwar wegen der (bereits realisierten) Wiederholungsgefahr ein berechtigtes rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, angesichts der glaubhaften Überbelegung habe die Anstalt indes rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass von dem Gebot der Einzelunterbringung nach § 18 Abs. 1 StVollzG im Fall des Antragsstellers gemäß § 201 Nr. 3 StVollzG habe abgewichen werden müssen, da die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erforderten. In dieser Überbelegungssituation habe die Anstalt, mit deren Bauausführung vor dem 1. Januar 1977 begonnen worden sei, bei der Vergabe von Einzelhafträumen eine Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen, wobei ein Spielraum für Variationsmöglichkeiten angesichts der Überbelegung kaum gegeben sei. Eine halbwegs gerechte Lösung sei die Führung der Warteliste, auf die auch der Antragsteller gesetzt worden sei. Dass sich der Antragsteller als Nichtraucher mit Rauchern einen Gefangenenraum habe teilen müssen, sei "zwar misslich, dennoch angesichts der Überbelegungssituation zumindest vorübergehend hinnehmbar". Der Haftraum, in dem er mit den beiden Rauchern untergebracht gewesen sei, weise eine Grundfläche von 23 qm und einen abgetrennten Sanitärbereich auf; dem Einschluss habe er jeweils von 21:30 Uhr bis 6:00 Uhr morgens und von 17:15 Uhr bis 18:00 Uhr unterlegen.

Gegen diesen ihm am 12. Februar 2004 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde, die er am 16. März 2004 zu Protokoll der Geschäftstelle eingelegt und begründet hat. Der Antragsteller rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ein Nichtraucher habe Anspruch, getrennt von Rauchern untergebracht zu werden. Die Gefährdung von Nichtrauchern durch Passivrauchen und die daraus resultierenden Langzeitschäden (erhöhtes Krebsrisiko pp.) seien offenkundig und rechtfertigten einen Anspruch a...

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