Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls bei Unvereinbarkeit der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat mit Art. 3 EMRK
Leitsatz (amtlich)
1. Die Auslieferung eines Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ist nach § 73 IRG unzulässig, wenn nicht sichergestellt ist, dass die dortigen Haftbedingungen den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen.
2. Die Prüfung, ob die Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat Art. 3 EMRK genügen, hat anhand der vom EGMR in seiner Grundsatzentscheidung vom 20. Oktober 2016 (7334/13, Mursic/Kroatien) aufgestellten Kriterien zu erfolgen (entgegen OLG Hamburg, Beschluss vom 3. Januar 2017 - Ausl 81/16).
3. Danach stellt eine Haftraumgrundfläche von 3 m² pro Inhaftiertem bei Belegung eines Haftraumes mit mehreren Gefangenen das von Art. 3 EMRK verlangte Minimum dar. Die Unterschreitung dieses Minimalstandards begründet eine starke Vermutung für eine unmenschliche Behandlung.
4. Um entgegen der Regelvermutung einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu verneinen, müssen drei (kompensatorische) Voraussetzungen kumulativ gegeben sein. Erstens darf die Haftraummindestgröße von 3 m² pro Gefangenem nur kurzzeitig, gelegentlich und geringfügig unterschritten werden. Zweitens muss die Reduktion der Haftraummindestgröße einhergehen mit ausreichender Bewegungsfreiheit außerhalb der Zellen und adäquaten Aktivitäten außerhalb der Hafträume. Und drittens muss die betreffende Haftanstalt generell angemessen ausgestattet sein und darf es keine anderen den Gefangenen beschwerenden Haftumstände geben.
Normenkette
IRG § 73; EMRK Art. 3; EURaBes 584/2002 Art. 1 Abs. 3
Tenor
Die Auslieferung des Verfolgten an die rumänischen Justizbehörden zur Vollstreckung der in dem Europäischen Haftbefehl Nr. 38/MEA/22.09.2016 des Amtsgerichts in T. (Rumänien) vom 22. September 2016 bezeichneten Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist nicht zulässig.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 23. November 2016 wird aufgehoben. Der Verfolgte ist in dieser Sache aus der Haft zu entlassen.
Gründe
I.
Die rumänischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls Nr. ... des Amtsgerichts in T. (Rumänien) vom 22. September 2016 die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung.
Ausweislich des Europäischen Haftbefehls wurde der Verfolgte durch Urteil des Amtsgerichts T. vom 19. Mai 2015 (Az. ...) in Verbindung mit einem Urteil des Berufungsgerichts T. vom 15. September 2016 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Art. 335 des rumänischen Strafgesetzbuchs) in seiner Anwesenheit rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die noch vollständig zu vollstrecken ist.
Das der Verurteilung vom 19. Mai 2015 zugrunde liegende Tatgeschehen wird in dem Europäischen Haftbefehl dahingehend beschrieben, dass der Verfolgte am 13. September 2014 gegen 23.40 Uhr auf öffentlichen Straßen in Rumänien, und zwar auf der Landstraße D. zwischen den Ortschaften C. und Ca., ein Kraftfahrzeug - einen Audi A3 mit dem amtlichen Kennzeichen ... - führte, obwohl er nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis war.
Aufgrund dieser Verurteilung des Verfolgten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis widerrief die rumänische Justiz zudem eine zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe aus einem Urteil des Landgerichts Ti. vom 5. Mai 2006. Wie die rumänischen Behörden mit Schreiben an die Generalstaatsanwaltschaft Celle vom 9. Dezember 2016 mitgeteilt haben, wurde der Verfolgte am 5. Mai 2006 in seiner Anwesenheit vom Landgericht Ti. (Az.: ...) wegen Mitwirkung an einer in der Nacht vom 20. auf den 21. August 2005 verübten Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die bis auf einen Strafrest von 1073 Tagen vollstreckt wurde. Mit Beschluss des Amtsgerichts T. vom 11. September 2012 (Az.: ...) wurde die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss des Amtsgerichts T. vom 19. Mai 2016 (Az.: ...), rechtskräftig durch Beschluss des Berufungsgerichts T. vom 15. September 2016 (Az.: ...), wurde die Reststrafenaussetzung zur Bewährung widerrufen. Auch zur Vollstreckung dieses Strafrestes erstreben die rumänischen Behörden mit dem Europäischen Haftbefehls vom 22. September 2016 die Auslieferung des Verfolgten.
Der Verfolgte wurde am 17. November 2016 in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig festgenommen. Das Amtsgericht Nienburg ordnete am 18. November 2016 gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG an, dass der Verfolgte bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts festzuhalten ist. Der Verfolgte hat bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Nienburg am 18. November 2017 erklärt, er sei mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden (§ 41 Abs. 1 IRG) und verzichte auch nicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität (§ 41 Abs. 2 IRG).
Der Senat hat mit Haftbef...