Leitsatz (amtlich)

Arbeitet ein Sachverständiger mit den Vertretern einer Partei - konkret Rechtsanwälten aus einer anderen Niederlassung - derzeit hinsichtlich eines anderen Mandats zusammen, weswegen er sich seinem eigenen Vorbringen zufolge mit den Klägervertretern "in einem Boot" sieht, kann dies den Anschein der Voreingenommenheit begründen.

 

Normenkette

ZPO § 406

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 29.07.2015; Aktenzeichen 3 O 322/13)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Hannover [3 O 322/13] vom 29.7.2015 abgeändert und der Ablehnungsantrag der Beklagten gegenüber dem Sachverständigen Herrn Dipl.-Ing. B. H. für begründet erklärt.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Hannover vom 29.7.2015 ist gemäß §§ 406 Abs. 5, 567, 569 ZPO zulässig und begründet. Der Einzelrichter hat zu Unrecht den gemäß §§ 406 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 ZPO zulässigen Antrag der Beklagten den Sachverständigen Dipl.-Ing. B. H. als befangen abzulehnen, zurückgewiesen. Die Voraussetzungen der §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 2 ZPO sind vorliegend erfüllt.

Gemäß §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 2 ZPO können Sachverständige wie Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen. Hiervon sind nur objektive Gründe erfasst, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber, wobei rein subjektive unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden ausscheiden [vgl. BGH, MDR 2012, 49; Zöller, Zivilprozessordnung, 30. Auflage, Bearbeiter Vollkommer zu § 42 Rn. 9 m.w.N.]. Solche Anknüpfungspunkte bestehen aus der Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei im zugrundeliegenden Verfahren durchaus.

Die Beklagte befürchtet aus objektiver Sicht zu Recht, dass der Sachverständige Dipl.-Ing. H. "im Lager" der Klägerin bzw. der Klägervertreter stehen könnte und deshalb die ihm übertragene Begutachtung nicht unvoreingenommen und nicht unparteiisch durchführten könnte. Wie die Beklagte bereits in ihrer Stellungnahme vom 2.10.2014 (Bl. 197 d.A.) zu der vom Einzelrichter beabsichtigten Sachverständigenbestellung vorgetragen hat, hat sich die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 3.6.2014 auf Seite 6 (Bl. 108 d.A.) auf ein Gutachten und auf das Zeugnis eben dieses Sachverständigen berufen, der bereits in einem anderen Rechtsstreit der Parteien vor dem LG Karlsruhe tätig geworden ist. Dieser Vortrag hatte den Einzelrichter bewogen, sich von der Industrie- und Handelskammer H. einen anderen Sachverständigen vorschlagen zu lassen, zu dessen Bestellung es jedoch auf den Widerspruch der Klägerin nicht gekommen ist. Zudem hatte die Beklagte in dem anderen Rechtsstreit zwischen den Parteien vor dem LG Karlsruhe [10 O 457/11] Einwendungen gegen das Gutachten von Herrn H. vom 19.9.2012 erhoben, mit denen sie unter anderem rügte, der Sachverständige habe von ihr bestrittenen Parteivortrag der Klägerin fälschlicherweise als bewiesen zugrunde gelegt; ferner warf sie Herrn H. vor, wesentliche Teile ihres eigenen Vorbringens unberücksichtigt gelassen zu haben. Darüber hinaus arbeitet der Sachverständige H. unstreitig mit den Klägervertretern - konkret Rechtsanwälten aus einer anderen Niederlassung - derzeit hinsichtlich eines anderen Mandats zusammen, weswegen er sich seinem eigenen Vorbringen zufolge mit den Klägervertretern "in einem Boot" sieht.

In der Gesamtschau lassen diese vorgenannten Umstände aus der Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei die Besorgnis aufkommen, der Sachverständige Dipl.-Ing. H. stehe nicht neutral zwischen den Parteien des hiesigen Rechtsstreits, sondern neige sich den Interessen der Klägervertreter und damit der Klägerin eher zu als denjenigen der Beklagten. Damit besteht der Anschein der Voreingenommenheit. Die Beklagte befürchtet aus objektiver Sicht nachvollziehbar eine mögliche Parteilichkeit des Sachverständigen zu Gunsten der Klägerin. Unter diesen Umständen war der angefochtene Beschluss wie geschehen abzuändern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 8747156

IBR 2015, 638

BauSV 2015, 83

KfZ-SV 2017, 30

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