Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlichkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, dass der Verurteilte unter rechtlicher Betreuung steht, stellt für das Erfordernis der Beiordnung eines Verteidigers lediglich ein Indiz dar, das für sich allein genommen erhebliche Zweifel an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung nicht zu begründen vermag. Vielmehr ist erforderlich, dass kumulativ noch weitere Gesichtspunkte hinzukommen.
2. Eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ergibt sich nicht allein aus dem Umstand, dass die Justizvollzugsanstalt im Rahmen des Verfahrens nach § 57 Abs. 1 StGB nacheinander mehrere divergierende Prognoseeinschätzungen abgegeben hat.
Normenkette
StGB § 57 Abs. 1; StPO § 140 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 30.10.2019; Aktenzeichen 79 StVK 141/19) |
LG Hannover (Entscheidung vom 30.10.2019; Aktenzeichen 79 StVK 142/19) |
LG Hannover (Entscheidung vom 30.10.2019; Aktenzeichen 79 StVK 143/19) |
LG Hannover (Entscheidung vom 30.10.2019; Aktenzeichen 79 StVK 144/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 30. Oktober 2019 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde des Verurteilten richtet sich gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 3. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 30. Oktober 2019, mit dem dieser den Antrag auf Beiordnung der Rechtsanwältin F. als Pflichtverteidigerin zurückgewiesen hat.
I.
Der Verurteilte verbüßt seit dem 25. Oktober 2017 drei Gesamtfreiheitsstrafen von drei Monaten und zwei Wochen, einem Jahr und einem Jahr und neun Monaten sowie eine Freiheitsstrafe von vier Monaten im Wege der Anschlussvollstreckung in der JVA H.. Der gemeinsame Zweidritteltermin wird am 9. Januar 2020 erreicht sein, das Strafende ist auf den 24. Februar 2021 notiert.
Mit Schreiben vom 27. August 2019 beantragte er, die Vollstreckung der Reste der zeitigen Freiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen und ihm seine Wahlverteidigerin als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Die JVA H. befürwortete in ihrer Stellungnahme vom 11. September 2019 zunächst eine vorzeitige bedingte Entlassung zum 9. Januar 2019. Durch Schreiben vom 20. September 2019 teilte sie jedoch mit, dass der Verurteilte bei dem Versuch angetroffen worden sei, eine Urinprobe zu manipulieren. Sämtliche Lockerungen seien widerrufen und der Verurteilte aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug verlegt worden. Einer vorzeitigen Entlassung werde aktuell nicht mehr zugestimmt.
Auf Hinweis der Strafvollstreckungskammer vom 19. September 2019 erklärte die Verteidigerin mit Schriftsatz vom 24. September 2019, dass eine Reststrafenaussetzung zum gemeinsamen Zweidritteltermin ausreichend sei. Bereits am 26. September 2019 beantragte der Verurteilte jedoch erneut, ihm seine Wahlverteidigerin analog § 140 StPO beizuordnen.
Durch weitere Stellungnahme vom 25. Oktober 2019 teilte die JVA H. nunmehr mit, dass eine vorzeitige Entlassung im Sinne des § 57 Abs. 1 StGB nur in Betracht komme, wenn der Verurteilte im Anschluss an die Entlassung umgehend die ambulante Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in L. fortführe.
Mit Beschluss vom 30. Oktober 2019 lehnte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer nach Anhörung der Staatsanwaltschaft den Beiordnungsantrag ab. Weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage ließen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen. Keiner der jeweiligen Strafreste belaufe sich über ein Jahr. Es seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Verurteilte in seiner Verteidigungsfähigkeit beschränkt sein könnte. Zuletzt habe er unter dem 17. Oktober 2019 eigenständig eine Strafvollzugseingabe verfasst.
Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Verurteilten vom 5. November 2019, mit der er erstmals vortragen ließ, dass er unfähig sei, seine Verteidigung selbst vorzunehmen. Er befinde sich in ärztlicher Behandlung der Institutsambulanz der Psychiatrie L.. Überdies sei eine gesetzliche Betreuung eingerichtet, die u.a. den Aufgabenkreis Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten umfasse. Vor diesem Hintergrund sei es ihm nicht möglich, seine verfahrensgemäßen Rechte selbst wahrzunehmen.
Durch Beschluss vom 6. November 2019 half der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer der Beschwerde nicht ab. Der Verurteilte sei grundsätzlich zur Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage, wie sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Ablösung aus dem offenen Vollzug beispielhaft zeige.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 30. Oktober 2010 aufzuheben und dem Verurteilten Rechtsanwältin F. als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Im Rahmen einer Gesamtschau der Umstände sei von einem Fall der notwendigen Verteidigung auszugehen. Neben dem Ums...