Entscheidungsstichwort (Thema)
Medizinische Notwendigkeit von Radiofrequenz-Tiefenhyperthermie-Applikationen und insulinpotenzierter Chemotherapie
Normenkette
AVB § 1 Abs. 2 S. 1, § 4 Abs. 6; VVG § 192; ZPO § 522 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Stade (Urteil vom 01.06.2023; Aktenzeichen 3 O 317/21) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 1. Juni 2023 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
3. Der auf den 15. Januar 2024 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf bis 19.000 EUR festzusetzen.
Gründe
Die Voraussetzungen, unter denen der Senat die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückweisen soll, liegen vor. Die bereits erfolgte Terminbestimmung durch den Senat steht dem Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 522 Rn. 31 mwN).
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 ZPO). Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
Die Berufung der Klägerin bietet auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht einen Anspruch des verstorbenen Versicherungsnehmers auf Erstattung der Kosten der durchgeführten Radiofrequenz-Tiefenhyperthermie-Applikationen und insulinpotenzierter Chemotherapie mit den Präparaten Mitomycin, Carboplatin, Vinblastin und Cardioxane aus § 192 VVG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1, § 4 Abs. 6 AVB verneint.
1. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die vom Versicherungsnehmer zur Behandlung seines lymphogen metastasierten Zungengrundkarzinoms durchgeführte Therapie im Strahlenzentrum Hamburg MVZ gemäß Rechnungen vom 14. und 20. Februar sowie 8. Mai 2021 (Anlage K2, Anlagenband Kläger) und vom 1. Oktober 2021 (Anlage K9, Bl. 50 d. A.) medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB war.
a) Soweit die Beklagte nach dieser Bestimmung nur für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung leistungspflichtig ist, liegt eine solche Behandlung jedenfalls dann vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung ist im Allgemeinen dann auszugehen, wenn sich eine Behandlungsmethode dazu eignet, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 2013 - IV ZR 307/12, VersR 2013, 1558, juris Rn. 13 f.). Auf der Grundlage des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 6. März 2023 (lose bei den Akten) hat das Landgericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht feststellen können. An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich gebunden. Soweit dies nur dann nicht gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, fehlt es vorliegend an solchen Zweifeln.
Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Prof. Dr. K. hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, bei dem seinerzeit 70 Jahre alten Versicherungsnehmer sei im Jahre 2020 ein lymphogenes metastasiertes Zungengrundkarzinom mit einem klinischen Stadium T4 N2 M0 diagnostiziert worden. Nach den im März 2021 veröffentlichten S3 Leitlinien Mundhöhlenkarzinom, die auch bereits 2020 gegolten hätten, solle die Behandlung des Mundhöhlenkarzinoms für jeden individuellen Fall innerhalb eines interdisziplinären Tumorbords festgelegt werden. Ein solcher Beschluss einer Tumorkonferenz liege im Streitfall nicht vor. Bei Patienten mit fortgeschrittenem, nicht operablem, metastasiertem Mundhöhlenkarzinom, besonders in den Altersgruppen bis 70 Jahren, solle eine primäre Radiochemotherapie einer alleinigen Strahlentherapie vorgezogen werden. Dabei sei das Cisplatin die am besten gesicherte Substanz. In den Leitlinien heiße es, dem Cisplatin komme im Vergleich zu anderen Chemotherapeutika die größte Bedeutung zu, da eine Polychemotherapie ohne Cisplatin zu signifikant schlechteren Ergebnissen führe. Die Verwendung von Cisplatin stelle den medizinischen Standard dar und sei in zahlreichen Studien auf ihre Effektivität in Kombination mit Bestrahlung geprüft worden. Dort habe sic...