Entscheidungsstichwort (Thema)
Nutzungsuntersagung eines Lese- und Schreibcomputers in der Sozialtherapie
Leitsatz (amtlich)
Der Zugang zu einem erforderlichen Lese- und Schreibcomputer kann für einen Strafgefangenen mit Sehbehinderung nicht mit einem dem entgegenstehenden therapeutischen Konzept in der Sozialtherapie eingeschränkt werden. Dies gilt umso mehr, wenn die Nutzung in einer vorherigen Vollzugsanstalt grundsätzlich uneingeschränkt möglich war.
Normenkette
JVollzG ND §§ 57, 100; StVollzG § 59
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 38 StVK 174/18) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller im Zeitraum vom 17. August 2018 bis zum 12. September 2018 den Zugang zu einem Lese- und Schreibcomputer nur in der Zeit von montags bis donnerstags von 16:30 bis 19:30 Uhr sowie freitags und an Wochenenden von 8:00 bis 11:00 Uhr zu gewähren, rechtswidrig war.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller ab dem 12. September 2018 den Zugang zu dem Lese- und Schreibraum täglich in der Zeit von 12:00 bis 18:00 Uhr zu gewähren, wird aufgehoben und die Sache an die Antragsgegnerin nach Maßgabe der nachfolgenden Gründe zurückgegeben.
Die Kosten des Verfahrens sowie dem Antragsteller hieraus erwachsene notwendige Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Der Streitwert wird auf bis zu 500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller verbüßt derzeit wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe und befindet sich seit dem 17. August 2018 in der Sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt ... . Zuvor befand sich der Antragsteller in der Justizvollzugsanstalt ... . Dort - sowie in vorherigen Anstalten auch - war ihm infolge seiner erheblichen Einschränkung der Sehfähigkeit - dem Antragsteller wurde insoweit eine Schwerbehinderung von 100 % zuerkannt - während der Zeiten des Aufschlusses mit Ausnahme einer einstündigen Mittagspause grundsätzlich unbeschränkt der Zugang zu einem in einem gesonderten Haftraum befindlichen Lese- und Schreibcomputer gewährt, ohne welchen der Antragsteller nicht in der Lage ist, zu lesen oder Schriftstücke zu fertigen. Der Antragsteller nutzte diesen für eine ausgesprochen umfangreiche Korrespondenz sowie zum Fertigen zahlreicher Anträge auf gerichtliche Entscheidung sowie sonstiger Eingaben.
Nach Verlegung in die Justizvollzugsanstalt ... wurde ihm dort der Zugang zu dem ebenfalls in einem gesonderten Haftraum befindlichen Lese- und Schreibcomputer zunächst ohne nähere Begründung in der Zeit von montags bis donnerstags von 16:30 bis 19:30 Uhr sowie freitags und an Wochenenden von 8:00 bis 11:00 Uhr gewährt. Auf seinen hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 21. August 2018 mit dem Ziel einer wie bislang während der Aufschlusszeiten uneingeschränkten Nutzung hat die Antragsgegnerin ab dem 12. September 2018 den Zugang zu dem Lese- und Schreibraum täglich in der Zeit von 12:00 bis 18:00 Uhr gewährt und erklärt, sie betrachte den Rechtsstreit hiernach für erledigt; gegen eine Kostenteilung würden keine Bedenken erhoben.
In der Sache selbst hat die Antragsgegnerin ausgeführt, das Nutzen des Lese- und Schreibcomputers in dem dem Antragsteller bislang gewährten Umfang stehe dem therapeutischen Konzept der integrativen Sozialtherapie in der sozialtherapeutischen Anstalt entgegen, in dessen Rahmen der Antragsteller, bei dem eine dissoziale und narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie Merkmale einer Psychopathie festgestellt worden seien, sich neben Gruppen- und Einzelgesprächssitzungen im täglichen Kontakt mit anderen Therapieteilnehmern und dem Stationsdienst mit seiner Person auseinandersetzen müsse, um überhaupt erst einen Zugang zu seinen Persönlichkeitsstörungen erreichen zu können. Die vollständige Ablenkung des Antragstellers durch seine private Korrespondenz mit Zugangszeiten von 60 Stunden zum Lese- und Schreibraum lasse für die therapeutische Intervention und Auseinandersetzung mit seinen Persönlichkeitsstörungen keinen ausreichenden Raum mehr.
Der Antragsteller ist dem entgegengetreten und hat zunächst der Annahme einer Erledigung widersprochen; eine solche sei nicht eingetreten, er halte an seinen Anträgen fest. Er sei infolge seiner Sehbehinderung auf das Nutzen des Lese- und Schreibcomputers zwingend angewiesen und eine zeitliche Beschränkung verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 3, 5, 19 und 20 GG; schließlich dürfe er infolge seiner Sehbehinderung anderen Strafgefangenen gegenüber nicht benachteiligt werden. Dies gelte umso mehr, als er - anders als andere Strafgefangene - außerhalb der Aufschlusszeiten nicht lesen und schreiben könne.
Die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Hannover hat mit Beschluss vom 23. Oktober 2018 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, soweit er sich nicht erledigt habe, als unbegründet zurückgewiesen und hat die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller und der Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte auferlegt; seine notwendigen Auslagen habe der Antragsteller selbst zu trage...