Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlichkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 IRG bei beabsichtigter Nichtbewilligung der Auslieferung durch die Generalstaatsanwaltschaft
Leitsatz (amtlich)
Der Senat beabsichtigt, auch im Falle der beabsichtigten Nichtbewilligung der Auslieferung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zu treffen. Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Rechtsfrage vorgelegt.
Normenkette
IRG §§ 9, 29, 42, 77, 79 Abs. 2, § 83b Abs. 1; StPO § 296 Abs. 2; EGRaBes 584/2002 Art. 4 Nr. 4
Tenor
Hat das Oberlandesgericht gemäß § 29 IRG zu entscheiden, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung für nicht bewilligungsfähig hält?
Gründe
I.
Die p. Justizbehörden betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Koszalin vom 14. Dezember 2020 (Az.: II Kop 47/20) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung.
Das zugrundeliegende Tatgeschehen wird in dem Europäischen Haftbefehl vom 14. Dezember 2020 wie folgt beschrieben:
"Der Verfolgte stahl am 30. November 2010 in M. (Bundesrepublik Deutschland) das ihm anvertraute Geld für die Erfüllung des Vertrags Nr. 2/2010/RCW. Der Vertrag wurde am 22. November 2010 abgeschlossen zwischen der Firma "P." s.j. R. i s. mit Sitz in J. und der Firma "M." sp. z .. mit Sitz in P. für den Verkauf und die Lieferung eines einwelligen Schneckenwasserabscheiders TRIO TSW 5434 für einen Betrag von 153.238,89 PLN. Der Verfolgte handelte dabei zum Schaden der von J. Z.-S. vertretenen Firma "M." sp. z .. mit Sitz in P.."
Der Verfolgte hat keine Kenntnis von dem Auslieferungsverfahren.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hält die Auslieferung des Verfolgten wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 IRG für erkennbar unzulässig.
Es liege ein Fall der konkurrierenden Gerichtsbarkeit vor, da der Europäische Haftbefehl M. als Tatort angebe. Nach deutschem Recht sei die Tat spätestens mit Ablauf des 30. November 2020 verjährt.
Die Generalstaatsanwaltschaft, die nach § 79 IRG für die Bewilligungsentscheidung über die Auslieferung zuständig ist, sieht sich indes an einer eigenständigen Nichtbewilligung der Auslieferung aufgrund des Urteils des EuGH vom 24.11.2020 in der Rechtssache C - 510/19 gehindert und beantragt, festzustellen, dass die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Koszalin vom 14. Dezember 2020 (Az.: II Kop 47/20) bezeichneten Tat unzulässig ist.
Soweit der Senat sich zu einer entsprechenden Entscheidung nicht berufen fühle, werde die Vorlage an den BGH beantragt.
II.
1.
Der Senat legt die Sache dem Bundesgerichtshof nach § 42 Abs. 1 und Abs. 2 IRG zur Entscheidung über die im Beschlusstenor bezeichnete Rechtsfrage vor.
Die Vorlage erfolgt nach beiden Alternativen des § 42 Abs.1 IRG. Sie ist von grundsätzlicher Bedeutung, da sie sich jederzeit wieder stellen kann, außerdem beabsichtigt der Senat, von Entscheidungen anderer Obergerichte abzuweichen. Zudem hat die Generalstaatsanwaltschaft die Vorlage an den BGH nach § 42 Abs. 2 IRG beantragt.
a)
Nach § 29 Abs. 1 IRG entscheidet das Oberlandesgericht über die beantragte Zulässigkeit der Auslieferung, wenn sich der Verfolgte nicht mit der Auslieferung einverstanden erklärt hat. Nach § 29 Abs. 2 IRG kann die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht auch dann die Entscheidung des Oberlandesgerichts beantragen, wenn sich der Verfolgte mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat. Die Entscheidung erfolgt gemäß § 32 IRG durch Beschluss. Nach der gesetzlichen Systematik des IRG hat vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts gemäß § 29 IRG im Falle des Auslieferungsverkehrs mit der Europäischen Union zunächst die Entscheidung der Bewilligungsbehörde nach § 79 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 IRG zu ergehen, ob Bewilligungshindernisse geltend gemacht werden sollen.
Bewilligungsbehörde ist die Generalstaatsanwaltschaft. Grundlage dieser - den Mitgliedstaten nach Art. 6 RB-EuHB möglichen - Übertragung der Bewilligungszuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit EU-Staaten auf die Generalstaatsanwaltschaften ist eine - auf der Grundlage von § 74 Abs. 2 IRG erfolgte - Zuständigkeitsübertragung durch den Bund auf die Länder und weitergehend auf die Generalstaatsanwaltschaften.
Nach § 79 Abs. 2 IRG wird die Bewilligung in einen Vorabentscheid über die Nichtgeltendmachung von Hindernissen nach § 83b IRG (1. Stufe) und eine abschließende Entscheidung, in die auch über § 83b IRG hinausgehende Erwägungen einfließen (4. Stufe) aufgespalten; dazwischen liegen die in den Verantwortungsbereich des Oberlandesgerichts fallende Überprüfung der Vorabbewilligungsentscheidung und die Zulässigkeitsentscheidung auf der 2. und 3. Stufe (Zimmermann/Hackner, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 79 IRG Rn. 2).
Bislang konnte die Generalstaatsanwaltschaft als Bewilligungsbehörde die Ausliefer...