Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Hinblick auf den Schwellenwert aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG ist arbeitsplatzbezogen auszulegen.

2. Daraus folgt, dass Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG vom 4. Mai 1976 (BGBl. I, S. 1153) dann mitzuzählen sind, wenn sie auf Arbeitsplätzen eingesetzt werden, die als solche in der Regel über sechs Monate hinaus bestehen und besetzt werden.

 

Normenkette

AÜG § 14 Abs. 2; MitbestG § 1 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 12.12.2017; Aktenzeichen 26 O 1/17)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 25.06.2019; Aktenzeichen II ZB 21/18)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 30. Januar 2018 wird der Beschluss der 26. Zivilkammer (6. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Hannover vom 12. Dezember 2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass bei der Antragsgegnerin zu 1) ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes zu bilden ist.

2. Es wird festgestellt, dass bei der Antragsgegnerin zu 2) ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes zu bilden ist.

II. Die Gerichtskosten beider Instanzen haben die Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldner zu tragen. Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.

III. Der Beschwerdewert wird auf EUR 50.000,- festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten im Rahmen eines Statusverfahrens nach § 98 AktG darum, ob bei den Beschwerdegegnerinnen jeweils ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes vom 4. Mai 1976 zu bilden ist.

Die als Gesellschaft mit beschränkter Haftung verfasste Beschwerdegegnerin zu 2) erbringt an insgesamt acht Standorten in Deutschland logistische Leistungen hauptsächlich für die Kraftfahrzeugindustrie. Die Beschwerdegegnerin zu 1), ebenfalls eine GmbH, ist nicht selbst operativ am Markt tätig und beschäftigt keine Arbeitnehmer; sie hält 95% der Anteile an der Beschwerdegegnerin zu 2). Zwischen den Beschwerdegegnerinnen besteht nach unbestrittenem Vortrag des Beschwerdeführers und ausweislich des Handelsregisters beim Amtsgericht A. (HRB 100...) ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag.

Der Beschwerdeführer ist der bei der Beschwerdegegnerin zu 2) bestehende Gesamtbetriebsrat.

Die Beschwerdegegnerin zu 2) beschäftigt zum überwiegenden Teil fest angestellte Arbeitnehmer, daneben im Umfang von etwa einem Drittel der Belegschaft aber auch Leiharbeitnehmer, deren Anzahl in Abhängigkeit von der Auftragslage schwankt. Nach ihrem eigenen Vortrag stellt sich die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen der Beschwerdegegnerin zu 2), aufgegliedert nach fest angestellten Mitarbeitern, Leiharbeitnehmern insgesamt und über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten tätigen Leiharbeitnehmern, in der jüngeren Vergangenheit wie folgt dar, wobei in der Spalte "Summe" zunächst die Summe aus fest angestellten Arbeitnehmern und Leiharbeitnehmern insgesamt und in Klammern die Summe aus fest angestellten Arbeitnehmern und solchen Leiharbeitnehmern, die länger als sechs Monate beschäftigt sind, verzeichnet ist:

Fest angestellte Arbeitnehmer

Leiharbeitnehmer

insgesamt

Leiharbeitnehmer

(Beschäftigung ≫ 6 Monate)

Summe

Stichtag

28.02.2017

(Bl. 39 d.A.)

1.556

619

321

2.175 (1.877)

Stichtag

19.05.2017

(Bl. 55/56 d.A.)

1.538

653

340

2.191 (1.878)

Durchschnitt

01-08/17

(Bl. 74/76 d.A.)

1.517

796

291

2.313 (1.808)

Durchschnitt

01/17-03/18

(Bl. 139 f. d.A.)

1.543

806

270

2.349 (1.813)

Der Beschwerdeführer hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, die Gesamtzahl der Arbeitnehmer der Beschwerdegegnerin zu 2) übersteige den in § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG definierten Schwellenwert von 2.000 Arbeitnehmern, weshalb bei ihr ein paritätisch zu besetzender Aufsichtsrat zu bilden sei. Bei der Bestimmung der Zahl der Mitarbeiter seien sämtliche Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Dies folge aus § 14 Abs. 2 Sätze 5 und 6 AÜG. Soweit dort bestimmt sei, dass Leiharbeitnehmer im Entleiherunternehmen dann zu berücksichtigen seien, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteige, komme es darauf an, welche Anzahl von Arbeitsplätzen in der Regel über sechs Monate hinaus mit Leiharbeitnehmern besetzt sei. Bei der Beschwerdegegnerin zu 1) sei sodann ebenfalls ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat zu bilden, weil ihr die Arbeitnehmer der Beschwerdegegnerin zu 2) gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG zuzurechnen seien.

Hilfsweise hat der Beschwerdeführer die Feststellung beantragt, dass bei der Beschwerdegegnerin zu 2) jedenfalls ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Drittelbeteiligungsgesetzes zu bilden sei, weil jedenfalls der insofern erforderliche Schwellenwert von 500 Arbeitnehmern überschritten sei.

Die Beschwerdegegnerinnen haben demgegenüber gemeint, der Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung sei bereits unzulässig, weil zwischen den Parteien zuvor kein...

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