Leitsatz (amtlich)

Ist einem Rechtsstreit zwischen einem Energieversorger und einem privaten Abnehmer die Billigkeit von Preiserhöhungen im Streit, richtet sich die sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht nach § 102 EnWG.

 

Normenkette

BGB § 315; EnWG § 102

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Aktenzeichen 5 O 38/10)

 

Tenor

Das AG Celle ist zuständig.

Die Entscheidung ist gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung teilweise offenstehender Rechnungsbeträge für Erdgaslieferungen wegen einseitig erfolgter Erhöhungen des Bezugspreises. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf kaufvertragliche Regelungen gem. § 433 BGB und im Übrigen auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag. sie vertritt die Auffassung, ihre Preisbestimmung inklusive der zwischenzeitlich ergangenen Erhöhungen entspreche billigem Ermessen gem. § 315 BGB. Der Beklagte verteidigt sich damit, dass keine Möglichkeit für die Klägerin bestehe, die Preise für die Erdgaslieferungen zwischenzeitlich zu erhöhen. Dies ergebe sich weder aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag noch aus den AVBGasV oder § 315 BGB. Im Übrigen vertritt der Beklagte die Auffassung, die Klägerin habe sich nicht an Vorgaben des EnWG gehalten und das Gas nicht zu den günstigsten Bedingungen eingekauft.

Die Klägerin hat wegen des in Rede stehenden Betrages von 1.584,79 EUR Klage zum AG Celle erhoben. Der Beklagte hat die Zuständigkeit des angerufenen AG mit der Auffassung gerügt, zuständig wäre gem. § 102 EnWG das LG.

Das AG hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 22.1.2010 für - versehentlich - örtlich (richtig: sachlich) unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Lüneburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das LG Lüneburg sei gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG zuständig, da im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung maßgeblich auf einen der Zwecke des EnWG, nämlich das in § 1 Abs. 1 EnWG verankerte Gebot der möglichst preisgünstigen Energieversorgung abzustellen sei. die Regelungen des EnWG seien zwingend zur Konkretisierung der Billigkeitsprüfung heranzuziehen, wie der BGH in der Entscheidung NJW 2007, 2540 ff. ausgeführt habe.

Das LG Lüneburg hat sich mit Beschluss vom 18.2.2010 gleichfalls für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem OLG Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Rechtsstreit hänge nicht von einer Entscheidung nach dem EnWG ab.

II.1. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig. Sowohl das AG Celle als auch das LG Lüneburg haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt.

2. Das AG Celle ist zuständig. Die mit dem Beschluss des AG Celle vom 22.1.2010 erfolgte Verweisung des Rechtsstreits an das LG Lüneburg erweist sich im Ergebnis als nicht bindend.

a) Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschl. v. 27.5.2008 - X ARZ 45/08 m.w.N. aus juris). Die Bindungswirkung fällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z.B. BGH NJW 2003, 3201). Ein Ausnahmefall ist allerdings dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273. NJW 2002, 3634). Zwar lässt weder bloßer Rechtsirrtum noch die Abweichung von der herrschenden Meinung die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 ZPO entfallen (BGH NJW 2003, 3201). Ebenso wenig kann von willkürlicher Missdeutung gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinander setzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG NJW 1993, 996, Rz. 16 aus juris). Weicht das verweisende Gericht jedoch von der Gesetzeslage bzw. der ganz einhelligen oder jedenfalls ganz überwiegenden Ansicht ab, muss es dieses wenigstens gesehen und die eigene Auffassung durch einen Abwägungs und Entscheidungsprozess begründet haben (KGReport Berlin 2000, 68, 69. OLG Schleswig NJW 2006, 3360 [3361]).

b) Gemessen an diesen Maßstäben entfaltet der Verweisungsbeschluss des AG Celle keine Bindungswirkung.

aa) Der Senat vertritt die Auffassung, dass in Streitigkeiten wie der vorliegenden, in denen der Energieversorger aufgrund zwischenzeitlich erfolgter Preiserhöhungen eingetretene Beitragsrückstände geltend macht, gegen die sich der Abnehmer mit der Behauptung verteidigt, die Preissteigerungen seien unbillig und das Gas sei nicht zu den günstigsten Bedingungen e...

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