Entscheidungsstichwort (Thema)
Untersuchungshaft: Haftgrund der Fluchtgefahr. Höhe der Sicherheitsleistung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Fluchtgefahr darf nur aus "bestimmten Tatsachen" hergeleitet werden; bloße Mutmaßungen und Befürchtungen reichen nicht. Die Tatsachen brauchen aber nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts festzustehen; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie beim dringenden Tatverdacht. Das Gesetz verlangt auch nicht, nur auf äußerlich zutage liegende Tatsachen abzustellen; es kommen auch innere Tatsachen in Betracht, auf die nach der Lebenserfahrung oder aufgrund äußerer Umstände geschlossen werden kann.
2. Bei der Bemessung der Sicherheit ist zwar auch den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschuldigten Rechnung zu tragen; grundlegend für Art und Höhe der Sicherheit sind aber die Intensität des Haftgrundes und die Bedeutung der Sache.
Normenkette
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 1, § 116a
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Entscheidung vom 15.02.2019; Aktenzeichen 16 KLs 5433 Js 23735/12) |
Tenor
1. Unter Verwerfung der weitergehenden Beschwerde als unbegründet wird der Vollzug des Haftbefehls der 2. großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hildesheim vom 29. Januar 2019 - 16 KLs 5433 Js 23735/12 - unter der Bedingung ausgesetzt, dass der Angeklagte
a) Sicherheit durch Hinterlegung von vier Millionen Euro in bar leistet und
b) seinen Personalausweis und seinen Reisepass, beide ausgestellt von der Republik Österreich, zu den Akten reicht.
2. Der Angeklagte wird angewiesen,
a) seinen Wohnsitz wieder unter der Anschrift ... zu nehmen,
b) vor einem etwaigen Wechsel des Wohnsitzes das Landgericht Hildesheim zu informieren und diesem den Wechsel unverzüglich durch Vorlage einer amtlichen Meldebescheinigung nachzuweisen,
c) das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Genehmigung des Landgerichts Hildesheim zu verlassen,
d) sich dreimal wöchentlich, nämlich jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag, persönlich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden,
e) allen Ladungen des Landgerichts Hildesheim in vorliegender Sache Folge zu leisten.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, jedoch wird die Gebühr für das Beschwerdeverfahren um die Hälfte ermäßigt. Von den gerichtlichen Auslagen in dem Beschwerdeverfahren und den darin entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten haben die Landeskasse und der Angeklagte je die Hälfte zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 30. Januar 2019 aufgrund des Haftbefehls der 2. großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hildesheim vom 29. Januar 2019 - 16 KLs 5433 Js 23735/12 - ununterbrochen in Untersuchungshaft.
1. Gegenstand des auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls ist der Vorwurf der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 AO in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, 3 Nr. 40, 16 Abs. 3, 25, 32 a Abs. 1 EStG, § 149 Abs. 2 AO, jeweils in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung.
a) Das Landgericht geht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme im Sinne eines dringenden Tatverdachts davon aus, dass der Angeklagte es unterließ, die vom Finanzamt H. bis zum 30. September 2007 angeforderte Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 abzugeben, worauf das Finanzamt mit Bescheid vom 24. Januar 2008 auf der Basis einer Schätzung die Einkommensteuer in Höhe von 714.800 Euro und Solidaritätszuschlag in Höhe von 39.314 Euro festsetzte. Dabei legte das Finanzamt aufgrund einer Kontrollmitteilung des Finanzamtes H. vom 18. August 2006 den Wert der Anteile des Angeklagten an der H. GmbH mit 3,1 Millionen Euro zu Grunde. Tatsächlich betrug der Wert mindestens 35,45 Millionen Euro, so dass eine Abgabenverkürzung in Höhe von insgesamt 5,8 Millionen Euro entstand. Die vom Niedersächsischen Finanzgericht auf der Basis eines angenommenen Firmenwerts von rund 100 Millionen Euro festgesetzte Steuerschuld in Höhe von 17,7 Millionen Euro hat der Angeklagte vollständig beglichen.
b) Die Annahme der Fluchtgefahr wird insbesondere darauf gestützt, dass der Angeklagte die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt und weit überdurchschnittlich vermögend ist, unter Hinzutreten der erheblichen Straferwartung. Er verfüge zwar über tragfähige soziale Bindungen im Inland und lebe seit seiner Kindheit in H., wo er mit seiner Ehefrau und zwei Kindern im Alter von fünf Jahren seinen Lebensmittelpunkt unterhalte. Von den rund 100 Millionen Euro aus dem Verkauf seiner Firma im Jahr 2007 sei aber noch ein erheblicher Anteil vorhanden. Hinzu komme ein erhebliches Privatvermögen aus Vergütungen als Geschäftsführer und Unternehmensvorstand sowie hieraus erzielten Anlageerlösen. Der Angeklagte pflege einen aufwändigen Lebensstil und lebe in einer neu errichteten, großzügigen Villa im ... von H. Er verfüge daneben über Immobilienbesitz auf S., in T. und in S.. Er habe im Jahr 2009 Pläne verfolgt, seinen Wohnsitz ...