Entscheidungsstichwort (Thema)
Sitzungspolizeiliche Maßnahme des Vorsitzenden im Strafverfahren: Zulässigkeit einer Beschwerde eines Zuhörers gegen die Untersagung der Mitnahme von Schreibgeräten in den Sitzungssaal
Leitsatz (amtlich)
1. Die sitzungspolizeiliche Gewalt nach § 176 GVG kann den Vorsitzenden dazu ermächtigen, den Zuhörern die Mitnahme von spitzen Schreibgeräten für die Dauer der Hauptverhandlung zu untersagen.
2. Eine sitzungspolizeiliche Maßnahme ist dann nicht mit der Beschwerde anfechtbar, wenn ihr eine über die Dauer der Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung nicht zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen nicht dauerhaft berührt oder beeinträchtigt werden.
3. Im Beschwerdeverfahren besteht eine eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit; die angefochtene sitzungspolizeiliche Maßnahme wird im Falle der Statthaftigkeit der Beschwerde nicht auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft.
Normenkette
GVG §§ 176, 181; StPO §§ 304-305
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Dem Angeklagten G. wird in dem vorliegenden Strafverfahren Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen im Konzentrationslager Auschwitz vorgeworfen. Die Hauptverhandlung hat am 21.04.2015 begonnen und dauert fort. Der Angeklagte ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch 93 Jahre alt und gesundheitlich stark beeinträchtigt. Aus diesem Grund ist die Dauer der Hauptverhandlung an den einzelnen Sitzungstagen auf wenige Stunden am Stück begrenzt. Darüber hinaus wird der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten durch Verhandlungspausen Rechnung getragen.
Auch vor dem Hintergrund des überregionalen und internationalen Medieninteresses und des angegriffenen Gesundheitszustandes des Angeklagten hat der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer am 02.02.2015 eine "Medienverfügung" im Sinne einer sitzungspolizeilichen Anordnung gemäß § 176 GVG erlassen. In dieser Verfügung hat der Vorsitzende umfangreiche Anordnungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Hauptverhandlung getroffen. Danach gilt in dem gesamten Gebäude ein absolutes Verbot von Waffen und gefährlichen Werkzeugen. Zeugen haben sich vor dem Zugang zur Hauptverhandlung einer körperlichen Durchsuchung auf Waffen (auch gefährliche Chemikalien, Messer u.a.), gefährliche Werkzeuge (auch Feuerzeuge und Streichhölzer), zu Film- und Tonaufnahmen geeigneter Gegenstände, insbesondere Mobiltelefonen, Smartphones und Tabletcomputer, sowie Wurfgegenstände (z.B. Flaschen, Dosen, Obst, Eier (...) zu unterziehen. Das Gleiche gilt für Flugblätter, Transparente, Trillerpfeifen, Glocken und ähnliche zur Verursachung von Lärm geeignete Gegenstände sowie Kugelschreiber und Füllfederhalter. Zuhörer dürfen keine Taschen bei sich tragen. Die bei der körperlichen Durchsuchung von den Kontrollbeamten festgestellten Gegenstände, die nach der getroffenen Anordnung nicht in den Saal bzw. in den Sicherheitsbereich hinter der Schleuse eingebracht werden dürfen, werden amtlich verwahrt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgenannten sitzungspolizeilichen Verfügung Bl. 51 ff. d. A. Bezug genommen.
Die Beschwerdeführerin nimmt seit dem zweiten Prozesstag als Zuhörerin an der Hauptverhandlung teil. Sie hat eigenen Angaben zufolge ein grundlegendes Interesse daran, in dem Verfahren mitschreiben und sich Notizen machen zu können, um dieses Kapitel Deutscher Geschichte - auch unter dem Aspekt der rechtlichen Aufarbeitung - verfolgen und sich damit auseinandersetzen zu können. Ihr Interesse sei umso größer, weil der zurzeit geführte Auschwitz-Prozess einer der Letzten, wenn nicht der Letzte überhaupt sein dürfte. Vor diesem Hintergrund wollte die Beschwerdeführerin am ersten Tag ihrer Teilnahme an der Hauptverhandlung unter anderem ein Schreibheft und einen "Schreiber" mit in den Sitzungssaal nehmen. Die Mitnahme dieser Gegenstände wurde ihr im Rahmen der Einlasskontrolle von den Beamten unter Berufung auf die sitzungspolizeiliche Anordnung verwehrt. In der Folgezeit versuchte die Beschwerdeführerin erfolglos, eine Genehmigung zur Mitnahme von Schreibutensilien für die Teilnahme an der Hauptverhandlung zu erhalten.
Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 26.05.2015 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen die Sicherungsverfügung des Vorsitzenden vom 02.02.2015 gemäß § 304 Abs. 1 und Abs. 2 StPO eingelegt, verbunden mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 307 Abs. 2 StPO. Sie beantragt als Zuhörerin an den jeweiligen Sitzungstagen mitschreiben und dafür entsprechende Schreibutensilien mit in den Sitzungssaal nehmen zu dürfen. Die Mitnahme eines Bleistifts und eines kleinen Blocks sei ihr in der Vergangenheit von den Kontrollbeamten auf Anordnung des Vorsitzenden und unter Hinweis auf die sitzungspolizeiliche Anordnung untersagt worden. Die Beschwerdeführerin rügt unter anderem, dass die Anordnung ihre Grundrechte, insbesondere aus Art. 3 GG, ve...