Leitsatz (amtlich)

Anordnungen zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft richten sich in Niedersachsen nach den Vorschriften der §§ 135 ff NJVollzG. Die Vorschrift des § 119 StPO i.d.F. vom 29. Juli 2009 findet in Niedersachsen für den Bereich der Untersuchungshaft keine Anwendung.

 

Verfahrensgang

LG Hildesheim (Aktenzeichen 26 KLs 19 Js 30791/09)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt, aufgehoben.

 

Gründe

I.

1. Dem Senat liegen eine Reihe gleichartiger Beschwerden der Staatsanwaltschaft Hildesheim gegen Beschlüsse der Strafkammern 1 und 16 des Landgerichts Hildesheim zur Entscheidung vor, in denen die Kammern Einzelanordnungen zur Regelung der Untersuchungshaft auf der Grundlage des § 119 Abs. 1 StPO n.F. getroffen haben.

2. Im vorliegenden Verfahren befindet sich der Angeschuldigte aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hildesheim vom 14. Oktober 2009 (Az.: 31 Gs 843/09) in der Fassung des Haftbefehls des Landgerichts Hildesheim vom 24. November 2009 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt S.

Dem Angeschuldigten wird in dem Haftbefehl und der nachfolgenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 31. Oktober 2009 zur Last gelegt, er habe vom 13. Juli 2009 bis zum 9. September 2009 gemeinschaftlich handelnd mit V. E. und J. E. in D. eine sog. Indoor-Anlage zur Aufzucht von Cannabispflanzen zum Herstellen und Vertreiben von Marihuana betrieben. Der Haftbefehl ist auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Ziff. 2 StPO gestützt.

3. Anlässlich des Inkrafttretens des vom Bundesgesetzgeber erlassenen Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 zum 1. Januar 2010 hat das Landgericht Hildesheim dem Angeschuldigten mit Beschluss vom 4. Januar 2010 auf der Grundlage des § 119 Abs. 1 und 2 StPO n.F. verschiedene Beschränkungen auferlegt. Im Einzelnen wurde beschlossen:

- Der Empfang von Besuch bedarf der Erlaubnis und ist optisch und akustisch zu überwachen;

- Telekommunikation bedarf ebenfalls der Erlaubnis und ist zu überwachen.

- der Schrift- und Paketverkehr sind zu überwachen;

- die Übergabe von Gegenständen - außer Zigaretten und Süßwaren in zum alsbaldigen Genuss üblichen Mengen - bedarf der Erlaubnis;

- der Angeschuldigte ist von dem Mitangeschuldigten E. zu trennen;

- er ist bei Ausgang/Überstellung zu fesseln und eine Ausantwortung bedarf der Zustimmung des Gerichts.

Mit Ausnahme der Überwachung des Schrift- und Paketverkehrs sowie der Erlaubniserteilung für den Empfang von Besuch und die Telekommunikation und der Zustimmung zur Ausantwortung wurde die Ausführung der Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft Hildesheim übertragen. Die Ausführung der übrigen Anordnungen obliegt dem Gericht.

Weiter wurde auch bestimmt, dass die angeordneten Beschränkungen auch für den Fall gelten, wenn gemäß § 116b StPO andere freiheitsentziehende Maßnahmen der Vollstreckung der Untersuchungshaft vorgehen.

4. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat gegen den Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 4. Januar 2010 am 8. Januar 2010 (Eingang: 12. Januar 2010) Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass den Anordnungen in dem angefochtenen Beschluss die Regelungen des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG) entgegenstehen, und beantragt, den Beschluss aufzuheben.

5. Die Kammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Celle zur Entscheidung vorgelegt. Im Nichtabhilfebeschluss vom 13. Januar 2010 führt das Landgericht aus, dass seit dem 1. Januar 2010 allein § 119 StPO n.F. anwendbar sei; das NJVollzG finde dagegen keine Anwendung mehr.

Das Landgericht hält eine Bundesgesetzgebungskompetenz für § 119 StPO n.F. für gegeben, denn der Befugnis aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG würden im Bereich der Untersuchungshaft alle Aspekte unterfallen, die in direktem Zusammenhang mit dem Grund für die Anordnung der Untersuchungshaft stehen, d.h. unmittelbar die Haftgründe betreffen. Dieses treffe hinsichtlich der vorgenommenen Anordnungen zu, denn diese sollten die ordnungsgemäße Durchführung eines etwaigen staatlichen Strafanspruchs sicherstellen und dienten nicht einem geordneten Vollzug der Untersuchungshaft im Sinne eines geordneten und störungsfrei funktionierenden Lebensalltages der Betroffenen in der Anstalt.

Die Regelungen der §§ 137 f., 143 ff. NJVollzG seien mit dem 1. Januar 2010 unanwendbar geworden, da der Bundesgesetzgeber nun von der ihm zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht habe, so dass die Länder insoweit nicht mehr regelungsberechtigt seien.

Eine Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht verneint das Landgericht Hildesheim, da es von der Rechtmäßigkeit des § 119 StPO n.F. überzeugt ist und es sich bei den nun keine Anwendung mehr findenden Normen des NJVollzG um ursprünglich verfassungskonform erlassene Gesetze handele, die allein deswegen obsolet geworden seien, weil der Bundesgesetzgeber von einer ihm zustehenden konk...

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