Leitsatz (amtlich)

1. Der Antrag eines Strafgefangenen auf Veranlassung psychologischer Behandlung durch einen Fachpsychologen ist nicht an § 14 NJVollzG, sondern an §§ 56 ff NJVollzG zu messen, wenn der Gefangene sich darauf beruft, transsexuell zu sein.

2. Das Tragen von Damenbekleidung im Strafvollzug durch einen männlichen Gefangenen kann wegen des in § 22 NJVollzG eingeräumten Anspruchs auf Tragen eigener Kleidung nicht mit allgemeinen Zweckmäßigkeits oder sich an tradierten Verhaltensmustern orientierenden Erwägungen versagt werden.

3. Vor der Entscheidung, einem männlichen Gefangenen das Tragen von Damenbekleidung zu untersagen, um ihn vor Übergriffen anderer Gefangener zu schützen, muss die Vollzugsbehörde prüfen, ob zur Beseitigung der Gefahr vorrangig anderweitige Maßnahmen - insbesondere gegenüber Personen, von denen die Gefahr ausgeht - in Betracht kommen.

4. Die Gestattung des Erwerbs von Körperpflegemitteln (hier: Kosmetika) beim Anstaltskaufmann umfasst regelmäßig auch die Genehmigung zum Besitz dieser. Der gleichwohl erfolgende Entzug stellt den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar, der nur unter den Voraussetzungen des § 100 NJVollzG i.V.m. § 49 VwVfG in Betracht kommt.

 

Normenkette

NJVollzG §§ 3, 14, 22, 56 ff.

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 26.11.2010; Aktenzeichen 84 StVK 103/10)

 

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin P. wird abgelehnt.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Sicherstellung der beim Antragsteller beschlagnahmten Gegenstände und gegen die Versagung des Erwerbs und des Tragens von Damenober und unterbekleidung zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache, auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 600 € festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller verbüßt derzeit auf der Grundlage des Urteils des Landgerichts Hannover vom 22. Februar 2007 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in mehreren Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.

Nach Angaben des Antragstellers liegt bei ihm seit längerer Zeit eine Transsexualität vor. Er begehrt daher die psychologische Betreuung durch einen externen Fachpsychologen. Zudem will er zur Durchführung einer sogenannten Alltagserprobung Damenober und unterbekleidung erwerben, um diese nach Einschluss tragen zu können. Beide Anliegen sind ihm von der Antragsgegnerin versagt worden. Zudem hat die Antragsgegnerin diverse Schminkutensilien und eine Damenstrumpfhose im Rahmen einer Zellenkontrolle vorgefunden, diese sichergestellt und zur Habe des Antragstellers genommen.

Gegen die Versagung der begehrten Maßnahmen bzw. die Sicherstellung der zur Habe genommenen Gegenstände erhob der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er fühlt sich aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert. Die Kammer hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet verworfen. Zur Begründung verweist sie auf die Stellungnahme der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren, die sie in wörtlicher Rede wiedergibt und der die Kammer mit kurzen zusätzlichen Ausführungen beitritt. Demnach sei die behauptete Transsexualtität des Antragstellers nur vorgeschoben, um sich nicht mit den Ursachen für seine Straftaten auseinandersetzen zu müssen. Hierzu seien die Gründe des Urteils des Landgerichts Hannover vom 22. Februar 2007, das hierzu erstellte Sachverständigengutachten, der Abschlussbericht der sozialtherapeutischen Abteilung, ein weiteres im Rahmen des Verfahrens über die vorzeitige Entlassung aus der Haft eingeholtes Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie die Einschätzung eines hinzugezogenen Psychiaters, der Gespräche mit dem Antragsteller geführt hat, ausgewertet worden. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG, der eine Ausführung zu einem externen Fachpsychologen rechtfertigen könnte, liege demnach nicht vor. Der Erwerb von Damenbekleidung komme nicht in Betracht, weil die vom Antragsteller erstrebte Alltagserprobung im Sinne der wissenschaftlichen Empfehlungen nicht sozialverträglich innerhalb einer Haftanstalt des geschlossenen Männervollzugs vorgenommen werden könne. Der Schutz des Antragstellers vor zu befürchtenden Übergriffen anderer Gefangener sei höher einzuschätzen als seine sexuelle Orientierungslosigkeit. Auch wenn der Antragsteller die Kleidung erst nach Einschluss tragen wolle, könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese Sachen von anderen Mitgefangenen entdeckt werden würden. Die sichergestellten Gegenstände habe der Antragsteller schließl...

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