Leitsatz (amtlich)
Unter den Begriff "derselben Tat" gemäß § 121 StPO fallen alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind.
Entsteht im weiteren Verlauf der Ermittlungen ein dringender Tatverdacht wegen einer anderen Tat, beginnt die Frist des § 121 StPO zu dem Zeitpunkt, an dem sich bei ordnungsgemäßer Ermittlungstätigkeit der dringende Tatverdacht und somit die Möglichkeit einer Haftbefehlserweiterung erstmals ergeben hat. Dies gilt aber nur, wenn die weitere Tat, um die der Haftbefehl ergänzt wird, auch für sich allein den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigt.
Normenkette
StPO § 121 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Stade (Aktenzeichen 10b KLs 4/11) |
Tenor
1. Die Untersuchungshaft des Angeklagten A. W. D. dauert fort.
2. Die weitere Haftprüfung bezüglich des Angeklagten D. wird für die Zeit bis zum 09.05.2012 dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht dem Landgericht Stade übertragen.
3. Zu einer Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten B. J. ist der Senat derzeit nicht berufen.
Gründe
I. Die Angeklagten wurden am 22.08.2011 vorläufig festgenommen. Aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Stade vom 22.08.2011 befinden sich beide Angeklagte seit dem 23.08.2011 in dieser Sache ohne Unterbrechung in Untersuchungshaft.
Die Staatsanwaltschaft Stade erhob am 21.12.2011 gegen die beiden Angeklagten sowie gegen vier weitere Personen Anklage beim Landgericht Stade. Darin werden dem Angeklagten J. insgesamt 14 schwere Bandendiebstähle und dem Angeklagten D. fünf schwere Bandendiebstähle vorgeworfen. Am 12.01.2012 erließ das Landgericht Stade nach Maßgabe dieser Anklageschrift neue Haftbefehle gegen die beiden Angeklagten, wobei die bisher in den Haftbefehlen des Amtsgerichts Stade nicht berücksichtigten, aber in der Anklageschrift enthaltenen Taten mit aufgenommen wurden. Danach wird den Angeklagten vorgeworfen, als Mitglieder einer Bande, die sich auf Einbrüche in Bekleidungsgeschäfte mit hochpreisiger Markenware spezialisiert habe, in der Zeit von Februar bis August 2011 regelmäßig von Polen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, um Einbrüche in Ladengeschäfte zu begehen. Im unmittelbaren Anschluss an die Tat habe jeweils die Rückreise erfolgen sollen, um die entwendeten Gegenstände, jeweils hochwertige Textilien, in Polen zu verwerten. Der Wert der entwendeten Textilien soll bei den jeweiligen Taten zwischen 16.000,00 und 58.000,00 Euro gelegen haben. Die Haftbefehle werfen dem Angeklagten J. eine Mittäterschaft in allen 14 Fällen und dem Angeklagten D. eine Mittäterschaft in 5 Fällen vor. Die neu gefassten und ergänzten Haftbefehle wurden dem Angeklagten J. am 20.01.2012 durch das Amtsgericht Lehrte und dem Angeklagten D. am 06.02.2012 durch das Amtsgericht Oldenburg verkündet. Die Haftbefehle sind jeweils auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gestützt.
Mit Beschluss vom 16.01.2012 trennte die Kammer das Verfahren gegen den Mitangeklagten G. ab, der zu der ihm vorgeworfenen Tatzeit Heranwachsender war, und eröffnete gegen die verbliebenen fünf Mitangeklagten das Hauptverfahren.
Mit Verfügung vom 06.01.2012 wandte sich der Vorsitzende wegen der Abstimmung eines Hauptverhandlungstermins an alle Verteidiger der Angeklagten. Mit Verfügung vom 08.02.2012 bestimmte er den Beginn der Hauptverhandlung auf den 11.04.2012.
Die Strafkammer, die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft halten die Fortdauer der Untersuchungshaft bei beiden Angeklagten für erforderlich.
II. Im Hinblick auf den Angeklagten J. liegen die Voraussetzungen für die besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO derzeit nicht vor, im Hinblick auf den Angeklagten D. ergibt die besondere Haftprüfung, dass die Untersuchungshaft fortdauern muss.
1. a) Die allgemeinen Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß § 112 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StPO liegen vor. Der Angeklagte D. ist des schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den in der Anklage zusammengefassten Ermittlungsergebnissen, insbesondere aus dem Umstand, dass der Angeklagte in zwei Fällen mit dem Transportfahrzeug samt gestohlener Kleidung angetroffen werden konnte, sowie aus den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung und den ermittelten Verkehrsdaten.
Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Nach den bisherigen Ermittlungen wohnt der Angeklagte D. mit seiner Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kind in Polen. Einen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat er nicht. Danach besteht - auch angesichts der Straferwartung für den Fall des Tatnachweises - ein erheblicher Fluchtanreiz für den Angeklagten. § 244 a StGB sieht für jede der ihm vorgeworfenen Taten e...