Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung der unwirksamen Zustellung durch Übermittlung eines Fotos des Bußgeldbescheids an die Betroffene
Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle einer unwirksamen Zustellung eines Bußgeldbescheids kann eine Heilung des Zustellungsmangels gem. § 8 VwZG auch durch den tatsächlichen Zugang einer technischen Reproduktion des Originaldokuments erfolgten.
2. Ein von einem Dritten gefertigtes und über das Mobiltelefon weitergeleitetes Foto eines Bußgeldbescheids stellt eine technische Reproduktion des Originaldokuments dar und verschafft dem Betroffenen zuverlässig Kenntnis über den Inhalt des zuzustellenden Dokuments.
Normenkette
OWiG §§ 31, 33 Abs. 1 Nr. 9, § 51; StVG § 26 Abs. 3; VwZG § 8; ZPO § 189
Verfahrensgang
AG Verden (Aller) (Entscheidung vom 16.09.2020; Aktenzeichen 9 b 174/20) |
Tenor
1. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80 a Abs. 3 OWiG).
2. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Verden (Aller) vom 16.09.2020 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG).
3. Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Verden (Aller) hat die Betroffene mit Urteil vom 16.09.2020 wegen vorsätzlichen Überschreitens der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 35 km/h zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt. Weiter hat es der Betroffenen verboten, für die Dauer von einem Monat Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen und zugleich bestimmt, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils.
Nach den Feststellungen des Urteils befuhr die Betroffene am 21.09.2019 um 11:01 Uhr mit ihrem XXX-Bus, amtliches Kennzeichen XX-XX XXX in V. die Landesstraße XXX in Fahrtrichtung W. mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 85 km/h und überschritt so die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 35 km/h. Die Betroffene wusste, dass sie sich innerorts befand und nur 50 km/h fahren durfte; gleichwohl nahm sie es zumindest billigend in Kauf, die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Rechtsbeschwerde, mit der sowohl die Verletzung formellen als auch materiellen Rechts gerügt wird.
Zur Begründung der Rechtsbeschwerde wird ausgeführt, es bestehe ein Verfahrenshindernis, weil Verjährung eingetreten sei. Der Bußgeldbescheid des Landkreises Verden vom 14.10.2019 sei unter einer Anschrift zugestellt worden, unter der die Betroffene zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gewohnt habe. Unter der Anschrift sei lediglich die Mutter der Betroffenen wohnhaft, die der Betroffenen ein Foto von dem Bußgeldbescheid über das Mobiltelefon zugeschickt habe. Dieses habe die Betroffene per Mail an den Verteidiger übersandt, der daraufhin am 17.10.2019 Einspruch eingelegt habe. Die Betroffene habe den Bußgeldbescheid daher tatsächlich nicht in den Händen gehalten, so dass der Zustellungsmangel nicht geheilt worden sei. Vielmehr sei die Verjährung lediglich durch die Anordnung der Anhörung der Betroffenen durch die Verwaltungsbehörde am 02.10.2019 unterbrochen worden. Verjährung sei daher am 03.01.2020 eingetreten. Eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf 6 Monate gem. § 26 Abs. 3 StVG sei aufgrund des Zustellungsmangels nicht erfolgt, so dass der Eingang der Akten bei dem Amtsgericht Verden (Aller) am 27.02.2020 nicht mehr zu einer Unterbrechung der Verjährungsfrist habe führen können. Zudem habe der Nachweis, dass die Betroffene die Führerin des Kraftfahrzeugs gewesen sei, nicht geführt werden können. Das Messbild sei nicht von ausreichender Qualität, um eine Identifikation des Fahrers zu ermöglichen. Zudem sei das Amtsgericht zu Unrecht von einer vorsätzlichen Begehensweise ausgegangen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde der Betroffenen als unbegründet zu verwerfen.
II.
1.
Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des materiellen Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen (§ 80 a Abs. 3 OWiG). Die Frage, inwieweit der tatsächliche Zugang eines Bußgeldbescheids durch Übersendung eines Fotos zu einer Heilung eines Zustellungsmangels gem. § 8 VwZG führen kann, ist - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt.
2.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
a)
Soweit mit der Verfahrensrüge geltend gemacht wird, die Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Amtsgericht Verden sei fehlerhaft erfolgt, greift die zulässig erhobene Verfahrensrüge nicht durch.
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ist die Ablehnung eines Beweisantrages zulässig, wenn das erkennende Gericht aufgrund der Beweisaufnahme den Sachverhalt für so eindeutig geklärt hält, dass nach pflichtgemäßem Ermessen die beantragte Beweiserhebung die eigene Beurteilun...