Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtverteidigerbeiordnung nach dem 1.7.2004
Leitsatz (amtlich)
Das RVG findet auch dann Anwendung, wenn der Rechtsanwalt zwar vor dem 1.7.2004 bereits als Wahlanwalt tätig gewesen ist, er aber erst ab dem 1.7.2004 beigeordnet wurde.
Normenkette
RVG § 61
Tenor
Dem Antragsteller wird über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehenden gesetzlichen Gebühren für die Verteidigung des Angeklagten nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG eine Pauschvergütung i.H.v. 528 Euro bewilligt.
Hinzu treten Auslagen und Mehrwertsteuer, die gesondert zu erstatten sind.
Gründe
1. Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens war eine gegen drei Jugendliche gerichtete Anklage vor der großen Strafkammer (Jugendkammer) wegen des Vorwurfs des Mordes in zwei Fällen bzw. der Nichtanzeige geplanter Straftaten. Die über drei Verhandlungstage sich erstreckende Hauptverhandlung fand ein starkes Öffentlichkeits- und Medieninteresse. Der auswärtige Verteidiger eines der wegen § 138 Abs. 1 Nr. 6 StGB zu einer Jugendstrafe verurteilten Angeklagten beantragt eine Pauschvergütung.
2. Die Festsetzung der Pauschvergütung für den Antragsteller bemisst sich nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Die Beiordnung des Verteidigers erfolgte am 3.8.2004 und somit nach dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 1.7.2004. Dass der Verteidiger bereits vor dem 1.7.2004 in diesem Verfahren als Wahlverteidiger tätig geworden war, steht der Anwendung der Vorschriften des RVG für die gesamte Tätigkeit des Verteidigers nicht entgegen. § 60 Abs. 1 RVG gilt nämlich nicht, wenn der Verteidiger bereits im Vorverfahren tätig war, er aber nach dem In-Kraft-Treten des RVG gerichtlich beigeordnet wurde. Denn in einem solchen Fall endet der vom Mandanten erteilte Auftrag und es wird eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Verteidigung des Angeklagten begründet. Nach § 48 Abs. 5 S. 1 RVG erfasst die hiernach begründete Bestellung auch die im Vorverfahren bereits erbrachten Leistungen. Die Vergütung erfolgt hiernach für das gesamte Verfahren nach dem seit dem 1.7.2004 geltenden Recht (OLG Schleswig v. 30.11.2004 - 1 Ws 423/04; OLG Celle v. 13.12.2004 - 2 Ws 314/04; BT-Drucks. 15/1971, 203 zu § 60; Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., § 60 RVG Rz. 18).
3. Dem Antragsteller war über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehenden Gebühren für die Verteidigung des Angeklagten nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG eine Pauschvergütung zu bewilligen, weil die Strafsache in diesem Sinne besonders umfangreich und schwierig war.
a) Der Senat hat bisher auf Grundlage der bis zum 1.7.2004 geltenden Rechtslage seinen Entscheidungen nach § 99 BRAGO seine - veröffentlichten - Grundsätze für die Bewilligung von Pauschvergütungen zugrunde gelegt (vgl. StraFo 1995, 28). Diese Grundsätze haben mit In-Kraft-Treten des RVG für die hiernach zu beurteilenden Fälle insoweit ihre Gültigkeit verloren, als einige der bisher für die Bewilligung einer Pauschvergütung heranzuziehenden Umstände nunmehr bereits nach dem Vergütungsverzeichnis abgegolten werden und für eine Pauschvergütung regelmäßig nicht mehr herangezogen werden können (vgl. die Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV für die Teilnahme an richterlichen Vernehmungen oder Haftprüfungsterminen oder die nach Nrn 4110, 4111, 4116, 4117, 4122 und 4123 VV erhöhte Verfahrensgebühr für die Teilnahme an längeren Hauptverhandlungsterminen). Den Grundsätzen ist aber auch insofern die Grundlage entzogen, als die vom Senat hierbei herangezogenen Gebührensätze sich nach bisher geltendem Gebührenrecht gerichtet haben und somit für eine Pauschvergütung nach dem RVG ebenfalls nicht mehr herangezogen werden können. Verbindliche Grundsätze des Senats für das Bewilligen von Pauschvergütungen nach Maßgabe des RVG liegen (noch) nicht vor.
b) Für das vorliegende Verfahren gilt:
aa) Das Verfahren war besonders umfangreich oder schwierig i.S.v. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG, soweit der Antragsteller einen Mehraufwand geltend gemacht hat hinsichtlich:
- der wiederholten und nicht einfachen Vorbesprechungen mit seinem jugendlichen Mandanten sowie mit den Verteidigern der Mitangeklagten;
- des kurzfristig notwendig gewordenen Umarbeitens der bereits vorbereiteten schriftlichen Einlassung des Mandanten zur Nachtzeit, wobei der Senat diesem Umstand ein besonderes Gewicht beimisst;
- des gesteigerten Medieninteresses und der hierdurch bedingten Teilnahme an den vom LG begleiteten Pressekonferenzen.
bb) Weder besonderer Umfang noch besondere Schwierigkeiten i.S.v. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG lagen hingegen vor, soweit der Antragsteller einen Mehraufwand geltend gemacht hat für:
- das Einarbeiten in die Ermittlungsakten. Die Akten hatten zu Beginn der Hauptverhandlung einen Umfang von knapp sieben Bänden. Dies bedeutet für ein vor der großen Strafkammer (Jugendkammer) zu verhandelndes Verfahren keinen besonderen Umfang;
- die Prüfung, ob hinsichtlich des Haupttäters Mordmerkmale vorlagen. Dies ist regelmäßig Gegenstand eines Schwurgerichtsverfahrens, für das nach dem Vergütungsverzei...