Leitsatz (amtlich)

Wegen der Bedeutung des Schwellenwertes ist es erforderlich, dass die Vergabestelle die ordnungsgemäße Ermittlung des geschätzten Auftragswertes in einem Aktenvermerk festhält. Der Vermerk muss erkennen lassen, dass der Auftraggeber vor der Schätzung die benötigte Leistung zumindest in den wesentlichen Punkten festgelegt hat. Die Anforderungen an die Genauigkeit der Wertermittlung und der Dokumentation steigen, je mehr sich der Auftragswert dem Schwellenwert annähert.

Aufträge verschiedener öffentlicher Auftraggeber sind bei der Schätzung des Auftragswerts auch dann selbstständig zu bewerten, wenn bei den Aufträgen sachliche Zusammenhänge bestehen. Anders kann es ausnahmsweise sein, wenn zwei öffentliche Auftraggeber davon ausgehen, dass die benötigte Leistung aus technischen oder anderen Gründen von demselben Anbieter beschafft werden soll, und wenn die Auftraggeber deshalb die Beschaffungsvorhaben koordinieren und Angebote für den gemeinsamen Bedarf einholen. Entschließen die Auftraggeber sich dann unmittelbar vor der Auftragsvergabe zu gesonderten Verträgen, müssen sie eine nachvollziehbare Erklärung dafür liefern, aus welchem Grund dies geschehen ist, wenn nicht zur Vermeidung eines förmlichen Vergabeverfahrens.

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 27. April 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Auftraggebers und der Beigeladenen zu tragen.

Der Streitwert im Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 25.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Landkreis O. (Auftraggeber) ist Träger der Sozialhilfe in seinem Gebiet und eine der sog. "Optionskommunen", welche die Aufgaben nach dem SGB II in eigener Zuständigkeit durchführen. Die Leistungsgewährung erfolgt unmittelbar durch die Kreisverwaltung in Zusammenarbeit mit den kreisangehörigen Gemeinden, während die mit dem sog. Hartz-Reformen eingeführten aktive Arbeitsplatzvermittlung und das "Fallmanagement" von der P., einer kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts, wahrgenommen werden. Der Auftraggeber und die P. setzten dabei jeweils Programme der Beigeladenen ein.

Anfang des Jahres 2006 entschlossen sich der Auftraggeber und die P., eine neue Software zu beschaffen. Die Vergabeakte des Auftraggebers beginnt mit folgendem Vermerk vom 8. März 2006:

"Die Beschaffung eines neuen Programmes wird voraussichtlich mit folgenden Kosten für den Landkreis O. verbunden sein:

Lizenzkosten ca. 50.000 EUR (inkl. Mwst.)

Dienstleistungen ca. 40.000 EUR (inkl. Mwst.) (inkl. Altdatenübernahme und Schulungen)

Softwarepflegekosten für 4 Jahre bis zum Ende der Laufzeit als Optionskommune 01.01.2007 bis 31.12.2010 ca. 100.000 EUR (inkl. Mwst.)

Gesamt ca. 190.000 EUR (inkl. Mwst.).

...

Damit ist es nicht erforderlich, eine EU-weite Ausschreibung durchzuführen."

Der Auftraggeber hat vorgetragen, die Kostenschätzung beruhe auf der mündlichen Auskunft eines Mitarbeiters der Beigeladenen auf der Basis der bisherigen Mengengerüste.

Ab Ende April 2006 ließen sich Vertreter des Auftraggebers und der P., und zwar gemeinsam, von drei Anbietern EDV-Programme präsentieren, u. a. von der Antragstellerin und der Beigeladenen. In der Folgezeit holten sie Kostenangebote dieser Anbieter ein.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2006 bestellte der Auftraggeber bei der Beigeladenen 47 Lizenzen für das Programm "O./P." SGB II und SBB XII für 31.255 EUR, 20 Lese-Lizenzen zu diesem Programm für 5.000 EUR, Pflegeleistungen für die Software (55 "Concurrent User") zum Preis von monatlich 2.100 EUR (für 48 Monate 100.800 EUR) und IT-Dienstleistungen nach Aufwand, veranschlagt 30 Tage je 1.000 EUR, alle Positionen zzgl. Mehrwertsteuer.

Mit Anwaltsschreiben vom 31. Januar 2007 rügte die Antragstellerin, dass eine EU-weite Ausschreibung erfolgen müsse. Am 21. März 2007 beantragte sie ein Nachprüfungsverfahren.

Die Antragstellerin hat geltend gemacht: Der für eine EU-weite Ausschreibung maßgebliche Schwellenwert von 200.000 EUR sei deutlich überschritten. Der Auftraggeber habe den Auftragswert unrealistisch gering geschätzt und hierbei in erheblichem Umfang Kostenfaktoren nicht berücksichtigt. Zudem liege eine vergaberechtswidrige künstliche Aufteilung des Beschaffungsvorhabens vor, denn der Auftraggeber und die P. hätten die Beschaffungsvorgänge wegen des notwendigen Datenaustausches koordiniert und gemeinsam Angebote eingeholt. Die Aufteilung in zwei Aufträge sei in der Absicht geschehen, eine europaweite Ausschreibung zu vermeiden.

Der Antragsteller hat beantragt,

  • 1.

    den Auftraggeber zu verpflichten, die Beschaffung von Software für den Bereich SGB II sowie zugehörige Dienstleistungen (Pflegeleistungen, Schulungen, Betreuung, Datenmigration) unverzüglich offen und diskriminierungsfrei europaweit auszuschreiben,

  • 2.

    festzustellen, dass etwaige - ohne Ausschreibung geschlossene - V...

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