Leitsatz (amtlich)

Nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags im Vergabeverfahren hat der Antragsteller dem Auftraggeber regelmäßig die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erstatten. Beruht die Rücknahme darauf, dass der Zuschlag bereits vor Beantragung des Nachprüfungsverfahrens an einen Mitbewerber erteilt worden war, so kann der Auftraggeber seine Auslagen ausnahmsweise selbst zu tragen haben, wenn er den Antragsteller auf Nachfrage nicht über die Zuschlagserteilung an einen Mitbewerber informiert hatte.

 

Normenkette

GWB § 128

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer der Bezirksregierung Lüneburg vom 18.12.2001 dahin geändert, dass die Antragsgegnerin ihre zur Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat.

Die Auftraggeberin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 2.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Auftraggeberin schrieb Ende 2000 in 11 Losen u.a. Reinigungs- und Winterdienste für Bahnstationen aus. Die Antragstellerin gab für sämtliche Lose ein Angebot ab. Ihre Angebote für die Lose 1 bis 3 hatten den jeweils niedrigsten, die für die Lose 6 und 7 den zweitniedrigsten Preis. Am 15.5.2001 benachrichtigte die Auftraggeberin die Antragstellerin telefonisch, dass sie für keines der Lose den Zuschlag erhalten werde. Mit Schreiben vom 17.5.2001 bat die Antragstellerin die Auftraggeberin um Mitteilung, wann mit dem Informationsschreiben über die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu rechnen sei. Gleichzeitig rügte sie verschiedene Vergabeverstöße. Die Auftraggeberin ging in einem Schreiben vom 22.5.2001 auf die Frage nach der Zuschlagserteilung nicht ein. Mit Schriftsatz ihrer Anwälte vom 23.5.2001 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt. Die Auftraggeberin hat im Nachprüfungsverfahren einen Rechtsanwalt beauftragt. Dieser hat u.a. vorgetragen, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, weil die Auftraggeberin den Zuschlag bereits vor Eingang des Nachprüfungsantrags, und zwar mit Schreiben vom 14.5.2001, an einen Mitbewerber erteilt habe. Daraufhin hat die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag zurückgenommen.

Die Vergabekammer hat der Antragstellerin durch Beschluss vom 18.12.2001 die Verfahrenskosten auferlegt und ihr aufgegeben, der Auftraggeberin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Vergabekammer hat festgestellt, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts für die Auftraggeberin notwendig gewesen sei.

Gegen beide Entscheidungen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Die Antragstellerin macht geltend: Sie hätte den Nachprüfungsantrag von vornherein nicht gestellt, wenn die Auftraggeberin sie rechtzeitig von der Zuschlagserteilung unterrichtet hätte. Außerdem hätte es für den Vortrag der Antragsgegnerin, dass der Zuschlag schon mit Schreiben vom 14.5.2001 erteilt worden sei, nicht der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bedurft.

II. 1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Die Kostenentscheidung, zu der die Auferlegung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Auftraggeberin und die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts gehört, kann nach § 116 Abs. 1 S. 1 GWB auch isoliert mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden (vgl. OLG Celle Beschl. v. 18.4.2001 – 13 Verg 5/01; OLG Düsseldorf, BauR 2000, 1626 [1627]). Die sofortige Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet.

a) Zwar hat ein Antragsteller, der den Nachprüfungsantrag zurückgenommen hat, regelmäßig dem Auftraggeber die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erstatten. Dem steht nicht entgegen, dass § 128 Abs. 4 GWB eine ausdrückliche Regelung über die Erstattung der Auslagen nur für die Fälle des Obsiegens oder Unterliegens, nicht indes für den Fall der Antragsrücknahme vorsieht (so aber Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 128 Rz. 13 m. Hinweis auf Boesen, Vergaberecht, Rz. 48). Die bestehende Lücke ist vielmehr durch eine entsprechende Anwendung der §§ 269 Abs. 3 ZPO, 155 Abs. 2 VwGO zu schließen (vgl. BayObLG NZBau 2000, 99; OLG Naumburg, Beschl. v. 29.5.2001 – 1 Verg 5/01). Die entsprechende Anwendung der Vorschriften ist wegen der gerichtsähnlichen und kontradiktorischen Ausgestaltung des Vergabeverfahrens geboten. Es wäre auch nicht sach- und interessengerecht, wenn sich ein Antragsteller, der nach Einreichung des Nachprüfungsantrags die fehlenden Erfolgsaussichten erkennt, stets durch eine Rücknahme der drohenden Verpflichtung, die notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen, entziehen könnte.

b) Die Antragstellerin hat die notwendigen Auslagen der Auftraggeberin jedoch deshalb nicht zu tragen, weil sie dargetan hat, dass die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens auf einem Verschulden der Auftraggeberin beruht (§ 128 Abs. 4 S. 3 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1 S. 4 VwVfG).

Die Antragstellerin rügte mit...

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