Leitsatz (amtlich)
Wenn Beratungshilfe für die Angelegenheiten "Unterhalt, Scheidung oder Personensorge" gewährt wird, ist für die Frage, ob "dieselbe Angelegenheit" vorliegt, zwischen der Scheidung und den zugehörigen Folgesachen sowie den Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Trennung zu differenzieren und insgesamt vier Komplexe, nämlich
1. Scheidung als solche,
2. Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht),
3. Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Hausrat und
4. Finanzielle Auswirkung von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht und Vermögensauseinandersetzung)
zu bilden.
Normenkette
RVG §§ 15, 33, 56
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Beschluss vom 30.05.2011; Aktenzeichen 3 T 15711) |
Tenor
Auf die am 21.6.2011 vorab per Telefax beim LG Verden eingegangene weitere Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Verden vom 30.5.2011 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Antragsteller vom 15.2.2011 wird der Beschluss des AG vom 28.1.2011 aufgehoben.
Auf die Erinnerung der Antragsteller vom 17.12.2010 wird der Beschluss des AG Rotenburg (Wümme) vom 10.12.2010 teilweise geändert.
Unter Zurückweisung der Vergütungsanträge im Übrigen wird die an den Antragsteller für seine Tätigkeit in der Beratungshilfesache S. M. zu zahlende Vergütung auf 511,70 EUR festgesetzt.
Die weitergehenden Rechtsmittel der Antragsteller werden zurückgewiesen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die infolge Zulassung durch das LG gem. § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG i.V.m. §§ 56 Abs. 2, 55 RVG zulässige weitere Beschwerde ist teilweise begründet.
Zwar hat es das LG entgegen § 33 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 33 Abs. 4
Satz 1 RVG im Verfahren der weiteren Beschwerde unterlassen, die erforderliche Nichtabhilfeentscheidung zu treffen (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 19. Aufl., § 33 Rz. 15). Aber in Anbetracht der Tatsache, dass die weitere Beschwerde keine neuen Gesichtspunkte enthält, sieht der Senat ausnahmsweise davon ab, die Sache an das LG zum Nachholen der Abhilfeprüfung zurückzuverweisen und entscheidet sogleich in der Sache selbst.
In der Rechtsprechung ist umstritten, wie der Begriff "dieselbe Angelegenheit" zu definieren ist, wenn Beratungshilfe für die Angelegenheiten "Unterhalt, Scheidung oder Personensorge" gewährt wird.
Nach einer Auffassung handelt sich bei einer solchen Beratung lediglich um eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit, weil es sich um einen einheitlichen
Lebensvorgang handele, welche die hieraus resultierenden Gegenstände zu einer Angelegenheit verbinde (so beispielsweise OLG München MDR 1988, 330; OLG Nürnberg (7. OLG Celle) FamRZ 2005, 740 f.).
Anderer Auffassung nach stellt jeder einzelne Beratungsgegenstand eine eigenständige gebührenrechtliche Angelegenheit mit der Folge dar, dass auch gesondert Gebühren in Ansatz gebracht werden können (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244; OLG Frankfurt FamRZ 2010, 230).
Nach einer dritten Meinung ist zwischen der Scheidung und den zugehörigen Folgesachen sowie den Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Trennung zu differenzieren und für die Beurteilung des Vorliegens einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne auf den konkreten Lebenssachverhalt abzustellen (vgl. OLG Brandenburg MDR 2009, 1417; OLG Rostock NJW Spezial 2011, 92; OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.3.2011 - 11 WF 1590/10, AG Spezial 2011, 298 f.).
Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Er folgt insoweit der überzeugenden Begründung des OLG Nürnberg in seinem Beschluss vom 29.3.2011 (AG Spezial 2011 298 f.), wonach verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, sämtliche Problembereiche, welche im Zusammenhang mit einer Trennung und Scheidung von Ehegatten zu erörtern sind, als eine einzige Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne zu betrachten. Zu Recht weist das OLG Nürnberg auch darauf hin, dass die Annahme nur einer gebührenrechtlichen Angelegenheit auch nicht auf § 16 Nr. 4 RVG gestützt werden könne. Diese Vorschrift betrifft nur das gerichtliche Verbundverfahren, jedoch nicht die außergerichtliche Beratung, bei welcher bereits begrifflich eine Verbundsache nicht vorliegen kann. Der Senat teilt auch die Auffassung des OLG Nürnberg, dass eine analoge Anwendung wegen der unterschiedlichen Sachlagen nicht in Betracht kommt (vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244; OLG Dresden, Beschl. v. 7.2.2011 - 20 WF 1311/10, OLG Rostock NJW Spezial 2011, 92). Ebenfalls abzulehnen ist die Auffassung, wonach die Beratung zu jedem Gegenstand, zu dem Beratungsbedarf im Zusammenhang mit einer
Trennung und Scheidung anfällt, eine eigene Gebühr auslösen soll. Diese Meinung berücksichtigt in der Tat nicht, dass zwischen den einzelnen Beratungsgegenständen, welche im Zusammenhang mit einer Trennung und Scheidung auftauchen können, ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, weshalb aus allgemein gebührenrechtlichen Gesichtspunkten von...