Leitsatz (amtlich)
Der Senat ist - anders als das OLG Hamm - der Auffassung, dass das Amtsgericht den Einspruch eines nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid auch dann gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verwerfen darf, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben worden war, und legt die Sache daher zur Entscheidung der Rechtsfrage dem BGH vor.
Normenkette
OWiG § 74 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Hannover (Entscheidung vom 25.08.2011) |
Tenor
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Darf das Amtsgericht den Einspruch eines nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde auch dann noch gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verwerfen, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht zurückverwiesen worden war?
Gründe
I. Durch Bußgeldbescheid der Landeshauptstadt H. vom 19. Mai 2010 ist gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h eine Geldbuße von 160 € und ein Fahrverbot von einem Monat unter Anwendung von § 25 Abs. 2a StVG verhängt worden.
Auf seinen Einspruch ist der Betroffene vom Amtsgericht Hannover durch Urteil vom 9. Dezember 2010 wegen fahrlässiger Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 € verurteilt worden. Außerdem ist gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat unter Anwendung von § 25 Abs. 2a StVG angeordnet worden.
Auf die unbeschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle mit Beschluss vom 29. März 2011 311 SsBs 33/11 - das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, die weitergehende Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen.
Durch das nunmehr angefochtene Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 25. August 2011 ist der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Landeshauptstadt H. vom 19. Mai 2010 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen worden, weil der nicht vom persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene in der Hauptverhandlung unentschuldigt ausgeblieben sei.
Hiergegen hat der Betroffene rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit der Verfahrensrüge macht er geltend, dass er nicht ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen worden sei. Außerdem erhebt er die Sachrüge.
Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Hauptverhandlung hat der Betroffene nicht gestellt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, weil die erhobene Verfahrensrüge mangels vollständiger Angabe der relevanten Tatsachen unzulässig und die erhobene Sachrüge unbegründet sei.
II. Der Einzelrichter des Bußgeldsenats hat die Sache durch Beschluss vom 2. November 2011 gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.
III. Der Senat möchte die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verwerfen, weil die erhobene Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß ausgeführt und daher unzulässig und die Sachrüge unbegründet ist.
Er sieht sich daran jedoch durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. November 2006 - 4 Ss OWi 742/06 - (VerkMitt 2007, Nr. 25. VRS 112, 49) gehindert. Danach ist eine Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG dann unzulässig, wenn eine vorangegangene amtsgerichtliche Entscheidung vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und daher im Schuldspruch rechtskräftig geworden ist (zustimmend KKSenge, OWiG 3. Auflage § 74 Rn. 21. offengelassen bei GöhlerSeitz, OWiG 15. Auflage § 74 Rn. 24).
Zur Begründung führt das Oberlandesgericht Hamm aus, dass durch die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde im Übrigen nur den Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, der Schuldspruch und die dem Schuldspruch zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen rechtskräftig feststehen. Nur diese und nicht etwa die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des Bußgeldbescheides seien damit Grundlage für das weitere Verfahren, also der noch ausstehenden Bußgeldbemessung. Der Konflikt zwischen der zwingenden Anordnung des § 74 Abs. 2 OWiG und der eingetretenen Teilrechtskraft der vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung sei dahin zu lösen, dass der Teilrechtskraft der Vorrang eingeräumt werde. Die Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit der Fol...