Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Übernahme einer Strafsache nach Eröffnung des Hauptverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Übernimmt das Landgericht ein Verfahren nach § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO nur aufgrund des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles, hat dieser Mangel nur Einfluss auf die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts, wenn sich die Übernahme als willkürlich darstellt. In diesem Fall kommt indessen keine Einstellung nach § 206a Abs. 1 StPO, sondern eine Verweisung an das stattdessen zuständige Gericht in Betracht.

 

Normenkette

StPO § 206a Abs. 1, § 225a Abs. 1 S. 2, § 269; GVG § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LG Hildesheim (Entscheidung vom 12.04.2016; Aktenzeichen 12 KLs 21 Js 20349/12)

 

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 12. April 2016 wird aufgehoben, soweit hiermit das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt wurde.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie seine hierdurch veranlassten notwendigen Auslagen.

 

Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist eine seitens der Kammer vorgenommene Einstellung des Verfahrens nach Maßgabe von § 206a StPO. Dem liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensablauf zu Grunde:

Mit einem von der Staatsanwaltschaft Hildesheim dem dortigen Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegten Strafbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, er habe in einem bei der Staatsanwaltschaft Hildesheim geführten Strafverfahren unter wahrheitswidriger Behauptung seiner Eigentümerstellung versucht, 16 Bilder des Malers S. P. im Wert von über 1 Million € zu erlangen. Das Amtsgericht hat am 13. April 2014 den Strafbefehl erlassen und hiermit eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen diesen Strafbefehl hat der Angeklagte fristgemäß Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht hat sodann mit Verfügung vom 12. November 2014 unter Hinweis auf die besondere Bedeutung und den Umfang der Sache die Akten dem Landgericht Hildesheim formlos mit der Bitte um Übernahme vorgelegt. Nachdem die Akten zunächst unter Hinweis auf die nach § 225a StPO einzuhaltenden Formalien an das Amtsgericht zurückgesandt worden waren, und der Angeklagte hiermit auch die Möglichkeit rechtlichen Gehörs zu der beabsichtigten Verfahrensweise hatte, wurden die Akten am 7. Januar 2015 erneut dem Landgericht Hildesheim zur Übernahme nach § 225a StPO vorgelegt. Mit Beschluss vom 10. Februar 2015 hat die Kammer unter Annahme des besonderen Umfangs und der besonderen Bedeutung des Falles im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG das Verfahren nach § 225a StPO übernommen. Die Kammer hat hierzu ausgeführt, dass der Prozess wegen des hohen Wertes der Bilder und des Bekanntheitsgrades des Malers S. P. ein erhebliches öffentliches Interesse hervorrufen werde, zumal zivilrechtliche Forderungen des Nachlasses in beträchtlicher Höhe im Raume stünden. Zudem sei in einem ähnlich gelagerten Verfahren ebenfalls Anklage zum Landgericht erhoben worden; der Angeklagte sei in jenem Verfahren nach vier Hauptbehandlungstagen verurteilt worden. Zudem seien besondere Schwierigkeiten bei der Beweisaufnahme erkennbar.

Die Hauptverhandlung begann schließlich am 6. April 2016. Mit Beschluss vom 12. April 2016 hat die Kammer sodann einen seitens des Angeklagten erhobenen Besetzungseinwand zurückgewiesen, die Hauptverhandlung ausgesetzt, und das Verfahren unter Annahme eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO eingestellt. Die Kammer hat zu der Einstellung ausgeführt, dass ein Verfahren mit einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls nicht einem Gericht höherer Ordnung zur Übernahme vorgelegt werden könne, und dass die Kammer nach Erlass des Strafbefehls wegen der hierdurch eingetretenen Zuständigkeitsperpetuierung das Verfahren nicht mehr hätte übernehmen dürfen.

Gegen diese Einstellung richtet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde, die dem Angeklagten bekannt gemacht wurde. Er hat sich hierzu nicht geäußert.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist nach Maßgabe von §§ 206a Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO statthaft und zulässig, und hat auch in der Sache Erfolg. Die von der Kammer angenommenen Voraussetzungen einer Einstellung nach § 206a StPO lagen nicht vor.

Die vom Landgericht vorgenommene Einstellung nach Maßgabe von § 206a StPO setzt das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses voraus, das nicht anders als durch eine Einstellung des Verfahrens behoben werden kann. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Jedenfalls nach Eröffnung des Hauptverfahrens - bzw. nach dem dieser gleich zu stellendem Erlass eines Strafbefehls - ist bei Annahme der Unzuständigkeit des Gerichts für eine Einstellung nach Maßgabe von § 206a StPO grundsätzlich kein Raum (KK-StPO-Schneider, Strafprozessordnung, 7. Aufl., § 206a Rn. 9 m.w.N.), weil ein Mangel der fehlenden Zuständigkeit durch Vorlage an das zuständige Gericht regelmäßig behoben werden kann. Hat - wie vorliegend - nach entsprechender Vorlage ein Gericht das Verfahr...

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