Entscheidungsstichwort (Thema)
Standardisiertes Messverfahren bei Geschwindigkeitsmessung mit LEIVTEC XV3
Leitsatz (amtlich)
1. Bei sämtlichen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV3 liegt derzeit kein vereinheitlichtes (technisches) Verfahren mehr vor, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.
2. Die Richtigkeit des ermittelten Geschwindigkeitswertes ist bei Messungen mit dem Messgerät Leivtec XV3 derzeit unabhängig davon, ob das sog. Messung-Start-Foto die in der am 14. Dezember 2020 geänderten Gebrauchsanweisung genannten Anforderungen erfüllt und ob es sich um eine Rechts-, Links- oder Geradeausmessung handelt, nicht mehr garantiert.
Normenkette
StPO § 261; StVO § 3; OWiG § 71
Verfahrensgang
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Walsrode zurückverwiesen
Gründe
I.
Das Amtsgericht Walsrode hat den Betroffenen am 17.12.2020 wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit durch Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 37 km/h zu einer Geldbuße von 140 € verurteilt und ihm für die Dauer von 1 Monat verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde die überhöhte Geschwindigkeit des von dem Betroffenen auf der BAB ... in Fahrtrichtung H. im Bereich des W. D. geführten Fahrzeugs mit dem Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC, XV3, Softwareversion 2.0 gemessen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80a Abs. 3 OWiG zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil - soweit erkennbar - bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob es sich bei mit dem Messgerät LEIVTEC, XV3 durchgeführten Geschwindigkeitsmessungen unter Berücksichtigung der abschließenden Stellungnahme der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt vom 09. Juni 2021 (Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3. Stand: 9. Juni 2021 / Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin. DOI: 10.7795/520.20210609) auch derzeit weiterhin um ein standardisiertes Messverfahren handelt.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil halten im Rahmen der Beweiswürdigung der rechtlichen Prüfung nicht stand.
1.) Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 261 StPO). Sie unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Das Rechtsbeschwerdegericht prüft allein, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist nach ständiger Rechtsprechung in sachlich-rechtlicher Hinsicht nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld überhöhte Anforderungen gestellt werden (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. März 2017 - 1 StR 486/16 -, Rn. 13, juris).
Bei der Anwendung sog. standardisierter Messverfahren ist der Umfang der Darstellung der Überzeugungsbildung des Tatrichters in den Urteilsgründen deutlich verringert. Den reduzierten Anforderungen wird in derartigen Fällen nach der Rechtsprechung bereits durch Wiedergabe des angewandten Messverfahrens, des berücksichtigten Toleranzabzuges sowie der Mitteilung, dass die Bedingungen des Messverfahrens (Beachtung der Bedienungsvorschriften, Eichung des Gerätes) eingehalten wurden, Genüge getan (OLG Celle, Entscheidung vom 21. September 2011 - 322 SsRs 328/11 -, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, juris).
Vorliegend steht außer Frage, dass die äußerst sorgfältig abgefassten Urteilsgründe den reduzierten Anforderungen an die Darlegung der Überzeugungsbildung von der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen in jeder Hinsicht gerecht werden. Zudem handelt es sich bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem vorliegend verwendeten Messgerät Leivtec XV3 grundsätzlich um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Celle, Beschluss vom 07. Juni 2018 - 2 Ss (OWi) 118/18 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 20. April 2018 - III-1 RBs 115/18 -, juris).
2.) Ob ein Messverfahren ein standardisiertes ist, hängt indes nicht von einer höchstrichterlichen Entscheidung, sondern allein von dem Verfahren selbst ab. Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92 -, BG...