Leitsatz (amtlich)

Der Durchführung eines auf Feststellung der Berufsunfähigkeit gerichteten selbständigen Beweisverfahrens steht nicht entgegen, dass das vom Antragsteller - möglicherweise unvollständig - beschriebene Berufsbild vom Antragsgegner bestritten wird.

 

Normenkette

ZPO § 485 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Beschluss vom 16.08.2010; Aktenzeichen 8 OH 11/10)

 

Tenor

Der Beschluss des LG Verden vom 16.8.2010 wird aufgehoben.

Es ist nach Maßgabe der Antragsschrift vom 30.6.2010 Beweis zu erheben.

Die weiter erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem LG Verden übertragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 95.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien verbindet eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit Beginn ab dem 1.7.1998. Dem Versicherungsverhältnis liegen u.a. die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit Stand 1996 zugrunde (BUZ96). Hinsichtlich des Inhalts der BUZ96 wird auf Bl. 15, 16 d.A. Bezug genommen.

Der Antragsteller ist selbständiger Landwirt. Der genaue Umfang der vom Antragsteller ausgeübten Tätigkeit ist streitig.

Im Jahr 2003 wurde beim Antragsteller erstmals eine bipolare Störung (manisch-depressive Erkrankung) diagnostiziert. In der Folge beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Versicherungsleistungen. Die Antragsgegnerin beauftragte den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. B. mit der Begutachtung des Antragstellers. Der Sachverständige erstellte zwei Gutachten mit Datum vom 30.7.2009 und vom 1.3.2010. In seinem letzten Gutachten kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass es sich bei den vom Antragsteller ausgeübten Tätigkeiten nicht um solche mit hohen Anforderungen an Konzentration, Koordination schwieriger Arbeitsabläufe und Personalführung handele. Bei einer adäquaten und konsequenten Behandlung sei die Prognose keineswegs ungünstig (Bl. 39-43 d.A.).

Die Antragsgegnerin lehnte eine Gewährung von Versicherungsleistungen daraufhin ab.

Mit Schriftsatz vom 30.6.2010 hat der Antragsteller die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Gegenstand des Verfahrens solle u.a. die Frage sein, ob der Antragsteller aufgrund einer bipolaren Störung zumindest 50 % außerstande sei, seinen Beruf als Leiter und Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes auszuüben.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Die Voraussetzungen für ein selbständiges Beweisverfahren lägen nicht vor. Der Antragsteller habe bereits zu dem von ihm ausgeübten Beruf keine hinreichend konkreten Angaben gemacht, so dass der Sachverständige das Vorliegen einer etwaigen Berufsunfähigkeit auch nicht beurteilen könne. Im Übrigen habe der Antragsteller auch nicht dargelegt, inwieweit ihm die Aufnahme einer Ersatztätigkeit nicht zumutbar sei. Schließlich sei das Verfahren auch nicht geeignet, einen weiteren Rechtsstreit zu vermeiden, weil die Antragsgegnerin einen näheren Vortrag des Antragstellers zu der von ihm ausgeübten Tätigkeit ohnehin bestreiten werde.

Mit Beschluss vom 16.8.2010 hat das LG den Antrag zurückgewiesen. Das Verfahren sei zur außergerichtlichen Streitbeilegung ungeeignet, weil es nur auf einer streitigen Tatsachengrundlage erstellt werden könnte. Damit könne ein Rechtsstreit aber nicht vermieden werden.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Im selbständigen Beweisverfahren werde der Tatsachenstoff vom Antragsteller vorgegeben. Dementsprechend sei das Bestreiten der vom Antragsteller ausgeübten Berufstätigkeit durch die Antragsgegnerin unmaßgeblich.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller die Zweiwochenfrist des § 569 Abs. 1 ZPO gewahrt.

Die sofortige Beschwerde führt auch insoweit zum Erfolg, als der Senat den angefochtene Beschluss aufgehoben und dem LG eine Beweisaufnahme nach Maßgabe der Antragsschrift aufgegeben hat.

Die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens setzt gem. § 485 ZPO voraus, dass entweder die Besorgnis eines Beweismittelverlustes besteht (Abs. 1) oder der Zustand u.a. einer Person festgestellt werden soll und der Antragsteller an der Durchführung des Verfahrens ein rechtliches Interesse besitzt (Abs. 2). Das Vorliegen der ersten Alternative wird auch vom Antragsteller nicht behauptet. Das Vorliegen der zweiten Alternative hat das LG zu Unrecht verneint.

Der Begriff des rechtlichen Interesses i.S.v. § 485 Abs. 2 ZPO ist weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Zwar kann ein rechtliches Interesse dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist. Dabei kann es sich aber nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch kein...

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