Leitsatz (amtlich)

Allein der Umstand, dass der Schriftverkehr eines Gefangenen vollständig oder zum Teil in "Sütterlinschrift" bzw. "Deutscher Schreibschrift" abgefasst ist, rechtfertigt nicht die generelle Anordnung des Anhaltens derartiger Schreiben gemäß § 31 NJVollzG.

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Entscheidung vom 23.03.2009)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss und die Verfügung der Antragsgegnerin vom 6. November 2008 werden aufgehoben.

Die Kosten beider Rechtszüge und die notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Landeskasse zur Last.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 300 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt C.. Er führt seit Dezember 2005 mit seiner inzwischen Verlobten Schriftverkehr in Sütterlinschrift bzw. Deutscher Schreibschrift. Mit mündlich eröffneter Verfügung vom 6. November 2008 hat die Antragsgegnerin angeordnet, dass künftig alle ein und ausgehenden Schreiben des Antragstellers, die - auch nur in einzelnen Passagen - in "Sütterlin" abgefasst seien, angehalten und zurückgesandt werden, solange sich der Antragsteller nicht schriftlich bereit erklärt, die Kosten der "Übersetzung" dieser Schreiben zu übernehmen und die daraus resultierenden Verzögerungen zu akzeptieren. Zur Begründung hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass auf Grund einer Zunahme des Schriftverkehrs des Antragstellers in Sütterlinschrift der Kontrollaufwand zu hoch geworden sei. Der Antragsteller und seine Verlobte seien ohne Probleme in der Lage, in lateinischer Schrift zu schreiben.

Den gegen diese Verfügung gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Antragstellers vom 18. November 2008 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L. mit Sitz in C. mit Beschluss vom 23. März 2009 - dem Antragsteller zugestellt am 1. April 2009 - als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die angefochtene Maßnahme nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG rechtmäßig sei, weil die Anstalt "nachvollziehbar dargelegt" habe, dass wegen des Umfangs des Schriftverkehrs dieser nicht mehr kontrolliert werden könne.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde, die am 4. Mai 2009 bei Gericht eingegangen ist. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Da das Fristende auf Freitag, den 1. Mai 2009, und damit einen Feiertag fiel, war der Eingang der Rechtsbeschwerde am ersten darauf folgenden Werktag, nämlich Montag, dem 4. Mai 2009, gemäß § 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 43 Abs. 2 StPO noch rechtzeitig. Es ist auch geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung sowohl zur Fortbildung des Rechts als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Überprüfung führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Verfügung der Antragsgegnerin vom 6. November 2008, so dass es eines Eingehens auf die erhobene Verfahrensrüge nicht bedarf. Die angefochtene Entscheidung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht Stand.

a) Schon die Beschlussgründe werden den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht. Zwar enthält der Tatbestand eine ausführliche Darstellung des Sach- und Streitstandes. Die Entscheidungsgründe sind jedoch unzureichend. Diese müssen die Gründe wiedergeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung zum Sachverhalt und für dessen rechtliche Beurteilung im Einzelnen maßgebend gewesen sind (vgl. Senatsbeschl. v. 22. Dezember 2008 - 1 Ws 585/08 [StrVollz]). Im vorliegenden Fall ist den Entscheidungsgründen weder eine Aufklärung des streitigen Sachverhalts und nachvollziehbare Beweiswürdigung noch eine erschöpfende rechtliche Bewertung des Falles zu entnehmen. Im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG gilt der Untersuchungsgrundsatz. Das Gericht darf seiner Entscheidung nicht den Sachvortrag einer Seite ungeprüft zugrunde legen. Wenn die Vollzugsbehörde Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Maßnahme gegenüber dem Gefangenen begründen sollen, dann muss das Gericht aufklären, ob sie zutreffen oder nicht, ehe es sie übernimmt (st. Rspr.. vgl. Senatsbeschl. v. 13. Juni 2008 - 1 Ws 268/08 [StrVollz]. ebenso BVerfGE 21, 195. OLG Stuttgart NStZ 1987, 295. Kammann/Volckart, in: AKStVollzG, 5. Aufl., § 115 Rdnr. 1. Callies/MüllerDietz, StVollzG, 11. Aufl., § 115 Rdnr. 3. jew. m. w. Nachw.). Dem wird die vorliegende Entscheidung nicht gerecht. Schließt sich das Gericht - wie hier - lediglich den Argumenten einer Partei an, so fehlt es an der gebotenen Überprüfung der angefochtenen Maßnahme (Senat aaO und bei Matzke NStZ 1997, 429). Soweit die Strafvollstreckungskammer hier ausgeführt hat, die Antragsgegnerin habe in ihrer Stellungnahme "nachvollziehbar dargelegt", dass wegen des Umfangs des Schriftverkehrs dieser nicht mehr kontrolliert werden könne, stellt dies keine eigene Beweiswürdi...

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