Leitsatz (amtlich)
1. Eine bis zur Anklageerhebung nicht beschiedene Beschwerde gegen die Versagung einer Beiordnung durch den nach §§ 141 Abs. 4, 2. Halbsatz i.V.m. § 126 Abs. 1 StPO zuständigen Richter ist nach Anklageerhebung als Antrag auf Beiordnung zu behandeln, über den nunmehr der Vorsitzende des erkennenden Gerichts zu befinden hat.
2. § 143 StPO führt trotz Bevollmächtigung eines Wahlverteidigers nicht zur Aufhebung einer erfolgten Beiordnung, wenn die Bevollmächtigung nur erfolgt, um die Entbindung des bisherigen Pflichtverteidigers zu erzwingen und zu erreichen, dass der Wahlverteidiger an dessen Stelle Pflichtverteidiger wird.
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Entscheidung vom 16.07.2010) |
LG Hildesheim (Entscheidung vom 01.07.2010) |
Tenor
Die Beschwerden des Angeschuldigten gegen die Beschlüsse der 3. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Hildesheim vom 1. und 16. Juli 2010 werden verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Gründe
I. Dem am 8. Juni 2010 festgenommenen Angeschuldigten wurde durch das Amtsgericht Hildesheim am 10. Juni 2010 Rechtsanwalt W. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Unter dem 15. Juni 2010 meldete sich Rechtsanwältin B. als Verteidigerin und beantragte ihre Beiordnung. Dies lehnte das Amtsgericht Hildesheim durch Beschluss vom 22. Juni 2010 unter Hinweis auf die bestehende Beiordnung ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Angeschuldigten ging am 25. Juni 2010 beim Amtsgericht Hildesheim ein. Hierin führt er aus, mit der Beiordnung von Rechtsanwalt W. ausdrücklich nicht einverstanden gewesen zu sein. Zudem sei die bestehende Beiordnung aufzuheben, weil er mit Rechtsanwältin B. nunmehr über eine Wahlverteidigerin verfüge. Unter dem 28. Juni 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Angeschuldigten zur großen Jugendkammer des Landgerichts Hildesheim, deren Vorsitzender am 30. Juni 2010 die Zustellung der Anklage an den Angeschuldigten verfügte. Am 1. Juli 2010 wies die Kammer die Beschwerde gegen die Versagung der Beiordnung von Rechtsanwältin B. aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Das Vertrauensverhältnis des Angeschuldigten zu Rechtsanwalt W. sei nicht gestört. Hiergegen erhob der Angeschuldigte wiederum Beschwerde. Die Kammer legte diese als Gegenvorstellung gegen ihren Beschluss aus und verwarf diese am 16. Juli 2010 als unbegründet. Auf die auch hiergegen erhobene Beschwerde hat die Kammer die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere steht ihr nicht § 310 Abs. 2 StPO entgegen. Denn die Entscheidung der Kammer vom 1. Juli 2010 stellt der Sache nach keine Beschwerdeentscheidung, sondern eine erstinstanzliche Ablehnung des Antrags auf Beiordnung von Rechtsanwältin B. dar.
Mit Eingang der Anklage beim Landgericht Hannover hat nämlich ein Zuständigkeitswechsel in der Form stattgefunden, dass nunmehr nur noch der Vorsitzende der großen Strafkammer für die Entscheidung über die Beiordnung zuständig ist. Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass wegen des durch die Anklageerhebung eintretenden Zuständigkeitswechsels eine bis dahin noch nicht erledigte Haftbeschwerde in einen Antrag auf Haftprüfung an das nunmehr zuständige Gericht des Hauptverfahrens umzudeuten ist, um divergierende Entscheidungen zu verhindern (vgl. OLG Karlsruhe StV 1994, 664; Meyer-Goßner, § 117 StPO Rdnr. 12 jew. m. w. N.). Aus denselben Erwägungen ist auch eine nicht erledigte Beschwerde gegen die Ablehnung einer Verteidigerbestellung durch das Amtsgericht nach Vorlage der Akten gemäß § 321 Satz 2 StPO beim Berufungsgericht wegen des damit verbundenen Zuständigkeitswechsels in einen erneuten Antrag auf Verteidigerbestellung umzudeuten (vgl. OLG Stuttgart Justiz 2007, 357; Meyer-Goßner, § 141 StPO Rdnr. 10). Diese Grundsätze sind auf die vorliegende Verfahrenslage zu übertragen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2008, 1 Ws 325/08). Zwar soll dem mit der Anklageerhebung einhergehenden Zuständigkeitswechsel grundsätzlich bereits dadurch Rechnung getragen werden, dass nach § 141 Abs. 4 1. HS StPO über die Bestellung eines Verteidigers vor Anklageerhebung der Vorsitzende desjenigen Gerichts entscheidet, das für das Hauptverfahren zuständig ist. Im Fall der Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen bestehender Untersuchungshaft nach § 141 Abs. 4 2. HS StPO greift diese Überlegung indessen nicht ein, weil der Gesetzgeber für diese Fälle die unmittelbar der Anordnung von Untersuchungshaft nachfolgende Entscheidung des den Haftbefehl erlassenden Gerichts vorgesehen hat. Erst nach Anklageerhebung wird nach § 141 Abs. 4 2. Hs i.V.m. § 126 Abs. 2 StPO die Zuständigkeit des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts begründet. Die Gefahr divergierender Entscheidungen liegt somit auf der Hand, wenn nicht ausnahmsweise der Spruchkörper des...