Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozessführungsbefugnis für eine Klage auf Duldung der Unterbrechung der Energieversorgung und Zutritt durch den Beauftragten des Netzbetreibers

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob der den Letztverbraucher leitungsgebunden mit Strom und Gas versorgende Lieferant im Falle des Zahlungsverzugs des Anschlussnutzers auf Duldung der Unterbrechung der Versorgung und Zutritt durch den Netzbetreiber klagen kann, ohne hierzu von dem Netzbetreiber ermächtigt worden zu sein.

 

Normenkette

EnWG § 18 Abs. 3, § 39 Abs. 2; NAV/NDAV § 21; NAV/NDAV § 24 Abs. 3; Strom-/Gas-GVV § 19 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Beschluss vom 10.05.2012; Aktenzeichen 4 O 283/11)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde vom 10.5.2012 werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Lüneburg abgeändert und die Kosten des Verfahrens erster Instanz dem Beklagten auferlegt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte nach einem Gegenstandswert von bis zu 1.500 EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

Die Klägerin ist im Gebiet des Beklagten die Grundversorgerin; Netzbetreiberin ist die E. AG. Die Klägerin versorgte den Beklagten an der Abnahmestelle G., V. ("Pferdestall hinten") leitungsgebunden mit Strom und Gas. Der Beklagte verbrauchte im Ablesezeitraum 6.11.2009 bis 16.11.2009 insgesamt 17.798 kWh Strom und 99.320 kWh Gas. Die Lieferung des Stroms erfolgte nach dem Tarif StromAgro Eintarif und für Gas auf Grundlage der GasGVV nach dem Tarifen ErdgasClassic Duett und anschließend ErdgasTarif Duett. Die Nachzahlung für die verbrauchte Energie und die neu festgesetzten Abschläge glich der Beklagte nur schleppend aus. Mit Schreiben vom 27.7.2011 wurde der Beklagte erneut zur Zahlung aufgefordert und die Unterbrechung der Versorgung nach Ablauf von vier Wochen angedroht. Unter dem 31.8.2011 wurde die Unterbrechung der Energieversorgung für den 8.9.2011 angekündigt. Dem Mitarbeiter des Netzbetreibers E. AG war ein Zutritt an diesem Tag erneut nicht möglich. Einschließlich Mahn- und Sperrversuchskosten schuldete der Beklagte der Klägerin zuletzt einen Betrag von 3.444 EUR, wobei mehr als 100 EUR auf die Lieferung von Strom entfielen.

Die Klägerin erhob Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, einem mit einem Ausweis versehenen Beauftragten des Netzbetreibers E. AG den Zutritt zu den Räumlichkeiten zu gestatten und die Sperrung der Strom- und Gaszähler zu dulden. Während des Prozesses glich der Beklagte den Rückstand aus. Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Das LG hat die Kosten des Verfahrens nach § 91a ZPO der Klägerin auferlegt. Dazu hat es gemeint, dass die Klägerin aller Voraussicht nach unterlegen wäre. Denn aus §§ 19 Abs. 2 Satz 1 Strom-/Gas-GVV ergebe sich kein Recht auf Zutritt zu den Räumlichkeiten. Das Zutrittsrecht ergebe sich vielmehr nur für den Netzbetreiber aus §§ 21 Satz 1, 24 Abs. 3 NAV/NDAV. Dieses Recht könne die Klägerin als Versorgungsunternehmen jedoch nicht im eigenen Namen geltend machen. Weder der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften noch die Intention des Verordnungsgebers oder die Systematik sprächen für ein Zutrittsrecht der Klägerin. Vielmehr solle dem Grundversorger ein Zutrittsrecht nach § 19 Strom-/Gas-GVV nur zur Ermittlung der preislichen Bemessungsgrundlagen oder zum Ablesen der Messeinrichtung zustehen. Ob hier § 19 StromGVV angesichts der verbrauchten Strommenge und der Bezeichnung der Abnahmestelle überhaupt Anwendung findet, könne offen bleiben. Aus § 273 BGB ergebe sich jedenfalls kein Recht auf Zutritt für die Klägerin. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass sie in gewillkürter Prozessstandschaft für den Netzbetreiber handele und von jenem ermächtigt sei.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie erreichen möchte, dass die Kosten des Verfahrens dem Beklagten auferlegt werden. Sie meint, ihr Recht, die Duldung des Zutritts durch einen Beauftragten des Netzbetreibers verlangen zu können, ergebe sich aus § 19 GasGVV. Der Netzbetreiber könne die Lieferung nach § 21 NAV/NDAV gar nicht unterbrechen, weil er aus dem Energielieferungsverhältnis keine Ansprüche gegen den Letztverbraucher habe. Schließlich sei die StromGVV analog auf Verträge mit Nichthaushaltskunden anzuwenden. Denn der Gesetzgeber habe im Zuge der Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes davon abgesehen, eine Bestimmung für den Übergang der bestehenden Verträge auch für Nichthaushaltskunden zu schaffen. Es müsse ihr doch möglich sein, die Energielieferung zu unterbrechen; sie allein sei hinsichtlich der Einstellung der Energieversorgung aktivlegitimiert.

II. Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 91a Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO) zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Kosten des Verfahrens unter Berüc...

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