Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausländerrecht: Unvollständige Angaben gegenüber Ausländerbehörde zur Beschaffung einer Duldung. Deliktsbeendigung bei Duldungserteilung. Anforderungen an Anklageschrift
Leitsatz (amtlich)
Der Verstoß gegen § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist jedenfalls dann, wenn infolge der Tathandlung eine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung erteilt wurde, mit Ablauf der Geltungsdauer der gewährten Aufenthaltserlaubnis oder Duldung beendet.
Für die Umgrenzungsfunktion der Anklage ist daher in diesen Fällen die Angabe erforderlich, ob und wie viele Duldungen erteilt worden sind.
Normenkette
AufenthG § 49 Abs. 2, §§ 60a, 95 Abs. 2 Nr. 2; StPO § 200
Verfahrensgang
AG Wennigsen (Deister) (Entscheidung vom 17.02.2015) |
Tenor
Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Wennigsen vom 17.02.2015 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Das Verfahren wird gem. § 206a StPO eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Hannover hat den Angeklagten mit Anklageschrift vom 29.10.2014 zum Amtsgericht Wennigsen - Strafrichter - angeklagt,
"in B. am 14.04.2011 unvollständige Angaben gemacht zu haben, um für sich eine Duldung zu beschaffen (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG)."
Dem Angeklagten wurde folgendes zur Last gelegt:
"Er reiste am 11.08.2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde am 25.10.2010 abgelehnt und der Angeschuldigte zur Ausreise aufgefordert. Dieser Aufforderung kam er bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nach. Eine Abschiebung ist nicht möglich, da der Angeschuldigte nicht im Besitz eines Nationalpasses bzw. gültigen Passersatzpapieres ist und deshalb seine Identität nicht festgestellt werden kann. Am 14.04.2011 unterzeichnete er eine von der Region H. übersandte Belehrung, in der er auf seine Pflicht, Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen, nach § 49 Abs. 2 AufenthG hingewiesen wurde. Trotz dessen unterließ es der Angeschuldigte, die erforderlichen Angaben zu machen, um auf diese Weise eine Abschiebung zu vereiteln und hierdurch eine Duldung zu erlangen."
Diese Anklage ist durch Beschluss des Amtsgerichts Wennigsen - Strafrichter - vom 17.11.2014 ohne Änderungen oder Hinweise uneingeschränkt zur Hauptverhandlung zugelassen worden.
Am 02.12.2014 ist gem. § 408a StPO ein Strafbefehl gegen den Angeklagten erlassen worden. Mit diesem Strafbefehl ist gegen den Angeklagten eine Geldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu jeweils 5,- € festgesetzt worden.
Nach rechtzeitigem Einspruch verurteilte ihn das Amtsgericht Wennigsen - Strafrichter - mit dem angefochtenen Urteil vom 17.02.2015 zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu jeweils 10,- €. Das Amtsgericht stellt fest, dass der Angeklagte, dessen Abschiebung nicht möglich sei, da seine Identität nicht festgestellt werden könne, am 14.04.2011 eine von der Region H. übersandte Belehrung unterzeichnet habe, in der er auf seine Pflicht, Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen, nach § 49 Abs. 2 AufenthG hingewiesen worden sei. Dennoch habe er es unterlassen, die erforderlichen Angaben zu machen, um auf diese Weise eine Abschiebung zu vereiteln. Im Rahmen der Strafzumessungserwägungen wird zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er zum Tatzeitpunkt noch nicht strafrechtlich vorbelastet gewesen sei, zulasten, dass er über einen Zeitraum von 4 Jahren seine Abschiebung verhindert habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Sprungrevision. Er begehrt die Einstellung des Verfahrens mangels wirksamer Anklage, hilfsweise eine Zurückverweisung der Sache.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Sie meint, die Anklageschrift genüge der Umgrenzungsfunktion, da der Tatzeitraum - fortlaufend ab dem 14.04.2011 - hinreichend deutlich werde.
II.
Die rechtzeitig eingelegte und form- und fristgerecht begründete Revision führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses.
Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Wennigsen vom 17.11.2014 in Verbindung mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hannover vom 29.10.2014 mit durchgreifenden Mängeln behaftet ist. Mängel der Anklageschrift sind, sofern diese - wie hier - unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, zugleich Mängel des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH GA 1973, 111).
Die Anklageschrift entspricht nicht den nach § 200 StPO an eine ordnungsgemäße Anklage zu stellenden Anforderungen. Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten über den gegen ihn erhobenen Vorwurf in Kenntnis zu setzen (Informationsfunktion) und in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand, über den das Gericht im Eröffnungsverfahren zu entscheiden hat...